Volltext: Jahresbericht 1995 (1995)

SUNO AMIET IM KUNSTHAUS 
Zur Erwerbung der «Sonnenflecken» durch die Vereinigung 
Zürcher Kunstfreunde 
Es war das erklärte Ziel des Architekten Karl Moser, dass 
sein 1910 eröffnetes Kunsthaus nicht nur ein Haus zur 
Aufnahme künstlerischer Werke werden sollte, sondern in 
sıch ein Kunstwerk sei: durch die Integration von plasti- 
schen und malerischen Auftragswerken in den architekto- 
nischen Zusammenhang sollte das Museum tendenziell 
zum Gesamtkunstwerk werden, ein bereits damals in 
Mode gekommener Begriff. Die Zeit schien für ein sol- 
ches Vorhaben günstig —- die bildende Kunst in der 
Schweiz befand sich in Aufbruchstimmung, und Schwei- 
zer Künstler sollten die anspruchsvollen Aufträge erhal- 
ten. Bei der Wahl der Künstler bewies man eine glückliche 
Hand: die beiden repräsentativsten Aufgaben im Innern — 
das monumentale Treppenhaus und die sich in zentraler 
Lage befindende Loggia - wurden Hodler und Amiet 
anvertraut, für den aufwendigsten plastischen Beitrag, die 
zrossen Metopenreliefs der Hauptfassade, ging aus stren- 
zer Konkurrenz als Sieger der zweifellos bedeutendste 
3ildhauer des Landes zu Beginn des Jahrhunderts. Carl 
3urckhardt, hervor. 
Dennoch wurde das hochgesteckte Ziel nicht erreicht. 
Obwohl nicht der ganze ursprünglich geplante Fassaden- 
schmuck realisiert wurde, bewähren sich Burckhardts fünf 
Amazonen-Reliefs (geplant waren ursprünglich zehn) bis 
heute und gehören zu den Hauptwerken der Bildhauerei in 
der Schweiz des Jahrhundertbeginns. Auf Schwierigkeiten 
-oder soll man sagen Missverständnisse, Fehlurteile — 
stiessen die Arbeiten im Gebäudeinnern. Die erste 
?assung von Hodlers «Blick in die Unendlichkeit» wurde 
- weil zu gross empfunden - abgelehnt. Dass der Künst- 
ler bei der Ausarbeitung einer etwas kleineren Fassung 
nicht mehr mit derselben Intensität gearbeitet hat, ist ihm 
nicht nachzudenken — aber man sieht’s! Der Ärger über 
das problematische Urteil der damaligen Entscheidungs- 
träger der Kunstgesellschaft hat meinen Vorgänger Rene 
Wehrli bewogen, die ungeliebte zweite Fassung jahrzehn- 
celang hinter einem Vorhang verschwinden zu lassen. 
Soweit möchte ich nicht gehen - aber auch ich neide den 
Baslern in aller Freundschaft die dem Kunsthaus entgan- 
gene 1. Fassung, die seither zu den wirklich grossartigen 
Monumentalkompositionen des Basler Kunstmuseums 
zählt. 
Und leider ist in bezug auf die Loggia über noch wei- 
tergehendes Missgeschick zu berichten. Ein erster Vor- 
schlag Amiets, der eine Folge von Gartenszenen vorsah, 
wurde im Herbst 1910 abgelehnt. Man erwartete offen- 
sichtlich «Erhabeneres» - und suggerierte damit dem 
Künstler, in eine Richtung zu gehen, die die seine nicht 
war und die ein zweites Mal in eine Ablehnung führen 
sollte: das Triptychon «Die Wahrheit»' — heute als Teil der 
Josef Müller-Stiftung im Kunstmuseum Solothurn (kein 
Neid!) - nahm ein Thema Hodlers auf, das seither im 
Kunsthaus in dessen Stilisierung gleich zweimal vertreten 
ist.2? Nach dem 1913 erfolgten Scheitern dieser allegori- 
schen Thematik liebäugelte Amiet erneut mit einem ihm 
gemässeren Vorschlag, einer Apfelernte,* doch schliesslich 
fand erneut ein inhaltlich schwergewichtigerer Vorschlag 
Gefallen und wurde 1917 ausgeführt: das siebenteilige 
Werk «Der Jungbrunnen» stellte einen neuerlichen Ver- 
such dar, ein traditionsreiches Thema der europäischen 
Kunstgeschichte in «moderner» symbolistischer For- 
mensprache anzugehen. Obwohl von Fritz Medicus - er 
war sicher nicht allein - im Neujahrsblatt 1921 der Zür- 
cher Kunstgesellschaft enthusiastisch gelobt, vermag 
heute dieses Ensemble kaum noch zu überzeugen. 
Während der Mittelteil des Zyklus, der eigentliche Jung- 
5runnen, dank einer nicht uninteressanten Auseinander- 
setzung mit kubistischen Elementen in der Schausamm- 
lung des Kunsthauses nicht immer, ’aber doch immer 
wieder präsent ist, haben es die Seitenteile - die Darstel- 
lung der alten, in einer Art Clubsessel sitzenden Gestalten 
einerseits sowie die sich räkelnden, zu erneuter Jugend 
zurückfindenden Aktfiguren anderseits - nicht geschafft, 
trotz wohlmeinender Rettungsversuche in das ständige 
Repertoire der Kunsthaussammlung wieder integriert zu 
werden. Wir kommen nicht umhin, George Mauner zuzu-
	        
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