Volltext: Jahresbericht 2006 (2006)

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Die V e rschiebung aus dem brodelnden Manhattan 
in das coole Los Angeles 1963 regte ihn zu einer 
weiteren Art von Verformungen an: die Möbel des 
«Bedrooms» sind pers pektivisc h verzerrte, kunststoff- 
beschichtete Kis ten, die dem Blick des Betrachters 
auf irritierende Weise entgegen k ommen. In der asep- 
tischen Perfektion griff er das Leugnen des Todes in 
Hollywood auf – er n annte das Ensemble «Pha raos 
Grab». Zugleich nä herte er sich damit f ormal der 
damals aufblühende n Pop Art, während das primitiv 
Unförmige eher von Dubuffet und der Art brut geprägt 
war. Ein erstes derartiges Möbel wurde in der Werk- 
statt von Artschwager hergestellt, und in unserem 
«Schalter» dürften die schwarz-weiss gesprayten 
Nebel von Andy W arhol angeregt sein, mit dem er in 
Los Angel es ein Bungalow teilte . Die Wahl des Gerätes 
hingegen weist auf die Anfänge der Bewegung bei 
Jas per Johns zurück, der ber eits 1958 eine Taschen- 
lampe und eine Lampen b irne quasi fo r midentisch 
in Metall na c hgebildet hat. An seine m «combine 
painting» «Zone » (1962) im Kuns thaus findet sich ein 
Schalter, und auch das gezeichnete Schema mit dem 
Pfeil erinnert an Werke von ihm. 
Zur raschen Visua lisierung der von Schr einern 
ausgeführten «M öbel» machte er Kartonmodelle, wie 
er sie bald auch in überlebensgrossem Massstab als 
Vorlagen für die Schnittmuster der weichen Plastiken 
herstellte. Das «Mode l – Str ipped Wall Switch» dürfte 
das erste dies er Arbeitsmodelle sein, dem selbst 
Werkcharakter zuk ommt. Für den Künstler entspre- 
chen sie «der geistigen Vision, imaginär, abs trakt, so 
etwas wie Platons Formen». In ihrer vom Künstler 
locker von Hand gemachten, frei bemalten und mit 
Notizen versehenen Art eignet ihnen etwas Subjek- 
tives und Unmittelbares, das sich in den manufak- 
turmässigen Aus f ührungen in w eichem oder hartem 
Material verliert – eine Lektion, die sich nicht nur 
Bruce Nauma n merkte . Die «Lichtschalter» in Segel- 
tuch und in mit Latex beschichtetem Holz w eichen in 
der Form kaum noch von üblichen Schaltern ab; sie 
sind nic ht, wie das Mode ll, «stripped», entkleidet, 
geöffnet, demontiert und entsprechend geht ihnen 
triert und unten rechts als «sk etch/s witc h» beschrie- 
ben wird. Die Signatur des Künstlers ist wie  mit einem 
trockenen oder schmutzi ge n Schwamm halb a usge- 
wischt. Das vorgestellte senkrechte Element hingegen 
erinnert eher an ein Gesicht, mit einem dunklen Auge 
vor dem hellen N ebel, einer Nase oder Zunge und dem 
Mund, oder gar an ein Männchen, doppelde ut ig, wie 
ein paar frühe flache Skulptur en Gi a comettis. 
Oldenbur g sucht ein «vollständiges Bild der Per- 
zeption, d.h. eine Mischung der D inge, wie sie sind und 
wie man sie sich vorstellt». E rinnerungen, A nspie- 
lungen , Phantasien lässt er in die Dinge einflies s en 
und lädt sie so psychisch auf. Zwar verliert das Gerät 
durch die Verschiebung in die Kunst seine banale 
Zweckmässigkeit – durch das Kippen des Schalters 
geht dem «Benützer» höchs tens ein inneres Licht 
auf – aber seine opake F r emdheit öffnet sich mensch- 
lichen Anmutungen. In moderne r Weise ist es wie in 
alten Still eben, in denen die Dinge in ihrem räts el- 
hafte n Eigenleben mit dem Betrachter in Kommuni- 
kation treten. Oldenbur g will die Objekte suggestiv 
machen, ihre Magie und damit die Einheit von Mensch 
und Welt wieder erwecken. Dieses r o mantische Pro- 
jekt vom «Lied in allen Dingen» v erfolgt er in v erschie- 
denen Pha sen und Vorgehensweisen. Zunächst sucht 
er um 1960 das archaisch Ursprünglic he wie Cy Twom- 
bly in Graff iti und F undstück en in den Strassen. Dann 
richtet er einen «Store», einen Laden mit Konsumgü- 
tern ein, wobei er nicht wie Warhol an Markenartik eln 
interessiert ist; vielmehr werden die Waren psycho- 
tisch deformiert und bem alt, Pollocks informelle 
Selbstentäusserung bri ngt er auf Kl eiderformen auf, 
Ja sper Johns Flagge mutiert zur eingeschweissten 
Kote l ett-P ac k ungs-Attrappe. Diese zum Amorphen 
tendierenden Objekte führ en 1962 zu «weichen» Skulp- 
tur en; aus Segeltuch oder Latex genä ht und mehr oder 
w eniger mit Füllmaterial ges topft, verlieren die Dinge 
ihre Härte und geraden Konturen, werden sinnlich 
weich und geben der Schwerkraft nach, wie der 
Me nsch im Schlaf oder die Uhren bei Dalí. Oldenburg 
nennt diese Aus formungen «ghos t vers ions» – Geist- 
oder Phanto m-F assungen. Phanto m-F assungen.
	        
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