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italienischen Kunst an die internationale Avantgarde
der Nachkriegszeit. In der lombardischen Metropo-
le wurde zuerst die von Paris aus die internationale
Kunstwelt dominierende gestisch oder lyrisch abs-
trakte, «tachistisch» oder «informell» genannte Male-
rei überwunden. Ab Mitte der Sechzigerjahre radikali-
sierte eine jüngere Künstlergeneration in Turin diese
Ansätze in dem neuen antitechnologischen Geist der
68er-Generation: Die Turiner Arte Povera hatte eine
Vorliebe für alles Archaische und Urtümliche. Sie setz-
te in ihren Werken naturbelassene, «armselige» St offe
und Materialien ein und wollte bestenfalls auf einem
vorindustriellen, handwerklichen Niveau arbeiten. Los
Angeles war kulturell eher für die Filmbranche oder
für den Vergnügungspark Disneyland bekannt als für
moderne und avantgardistische Kunst. Doch schon
in der zweiten Hä lfte der Fünfzigerjahre begann sich
dies zu ändern. Manche Künstler, die in den Sechzi-
gerjahren in Los Angeles arbeiteten, liessen sich von
der wuchernden neuen Stadt inspirieren. Viele experi-
mentierten mit den dort verfügbaren neuen Hightech-
Materialien und Verfahren. Andere verabscheuten
dagegen die technische Zivilisation. Sie suchten sich
ihre Aussteiger-Enklaven an abgelegenen Orten und
arbeiteten nur mit Licht und Raum (Light and Space).
Die dritte Fraktion der Szene bediente sich gern des
Abfalls der Millionenstadt: eine «Junk-Kunst» schuf
Assemblagen aus dem Material, dasdie riesigen Müll-
halden in Fülle zur Verfügung stellten.
Die Auss tell ung entstand in Zus amme narbeit
mit dem Moderna Museet, Stockhol m, wo Paulo
Venancio Filho und Annik a Gunnarson (Rio de Jane i-
ro), Luca Massimo Barbero und Cecilia Widenheim
HotSpots:RiodeJaneiro/Milano–Torino/
Los Angeles, 1956–1969
Bis in die Fünfziger- und Sechzigerjahre des 20. Jahr-
hunderts hatte die westliche zeitgenössische Kunst
zwei unbestrittene geographische Zentren gehabt:
ParisundNewYork.NunabererschienenneueStädte,
neue Länder, neue Kontinente auf der Landkarte der
modernen Kunst. Zu diesen pulsierenden Hot Spots
gehörten die tropische Metropole Rio de Janeiro, die
südalpine Industriezone zwischen Mailand und Turin
sowie die Zukunftsstadt Los Angeles an der amerika-
nischen Pazifikküste.
Unsere Ausstellung ze igte vor diesem Hinter-
grund der globalisierten Gegenwart einen Rückblick
aufdieKunstzwischen1956und1969inRiodeJanei-
ro,inMailandundTurinsowieinLosAngeles.Zum
einen wurden prägnante und eigentümliche Phäno-
mene und Entwicklungen herausgearbeitet, die die-
sen Orten ihren typischen kulturellen und künstleri-
schen Charakter gaben. Doch bei näherem Hinsehen
machte unser Rückblick auf die drei Hot Spots auch
das genaue Gegenteil bewusst: dass in den Räumen
der Kunst die Grenzen verschwunden waren, bevor die
ökonomischen, politischen und sozialen Räume dieser
Entwicklung folgten.
Rio de Janeiro war von einer pulsierenden kreati-
ven Atmosphäre erfüllt. Die Stadt schüttelte das Erbe
des Kolonialismus ab und erlebte eine ü ppige kulturel-
le Blüte. Die künstlerische Bewegung des Neokonkre-
tismus bestimmte die neue brasilianische Kunst und
Architektur. Sie war der erste Beitrag des Landes zu
einer universalen visuellen Sprache der Moderne. In
Mailand und Turin erfolgte der Anschluss der jungen Ausstellun ge n