Volltext: Jahresbericht 2009 (2009)

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abends in verschiedenen Haushalten putzte, sondern 
auch eine Reihe erstaunlicher inszenierter Fotografien 
produzierte. Die Aufnahmen zeigen sie u.a. als Haus- 
angestellte, aber auch als «Class Drag» oder «Ethnic 
Drag», d.h. als bürge rl iche Frau, als bürgerlichen 
Mann oder als schwarzen ‹Sklaven›. All diese Insze- 
nierungen waren Teil eines sadomasochistischen Ver- 
hältnisses, das sie mit dem Hausherrn Arthur Munby 
führt e. Im Film werden vier Fotografien von Hannah 
Cullwick reinszeniert. «Der Film ‹Normal Work› fra gt, 
ob sich die Durchquerung der sozialen Hierarchien 
von Klasse, Geschlecht und ‹Race›, die Hannah Cull- 
wick inszenierte und die sie offenbar begehrte, heute 
im Feld der Arbeit als paradoxe Anforderung verall- 
gemeinert hat», so die Künstlerinnen1. Boudry/Lorenz 
reflektieren mit der Arbeit also die Verbindung von 
Sexualität, sexueller Perversion und Fotografie sowie 
deren Verhältnis zur kolonialen Ökonomie des ausge- 
henden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 
Auch in der 2009 angekauften Arbeit «N.O.Body» 
(2008) geht es um Identitäts- und Genderfragen. Der 
Film und die Installation entstanden aus einer Recher- 
che zur Arbeit Magnus Hirschfelds (1868–1935). Die- 
ser war Arzt, Sexualwissenschafter und Verfechter 
der sogenannten «Zwischenstufentheorie». Hirschfeld 
ging davon aus, «dass Männlichkeit und Weiblichkeit 
nur Ideale sind, denen niemand gerecht werden kann, 
und dass alle individuellen Körper irgendwo zwischen 
diesen Idealen eingeordnet werden können».2 Für diese 
Zwischenstufen verwendete Hirschfeld den Ausdruck 
des «dritten Geschlechts». Hirschfeld war es übrigens 
auch, der 1910 für Personen, die Kleidung des anderen 
Geschlechts tragen, den Begriff «Transvestit» prägte. 
Die G ruppe Junge Kunst der Ve reinigu ng Zürche r 
Kun stfre unde wurde 1969 auf Initiative von Felix Bau- 
mann und Maurice Ziegler gegründet. Die jun gen 
Sammler und Kunstfreunde erhielten einen gew is- 
sen Kredit, von dem sie nach freiem Ermessen Wer- 
ke jun ger, noch nicht allgemein anerkannter Kün st- 
ler kaufen konnten. Seit 1970 bereichern sie sodie 
Kunsthaus-Sammlung, die dadurch eine neue Dime n- 
sion gewonnen hat: Viele a va ntgardis tische Positionen 
sind nur dank der Gruppe Junge Kunst hier vertreten, 
ma nche wurde n anschliessend von der Vereinigung 
selbst oder dem Kunsthaus weiterverfolgt und ver- 
tie ft. Ende 2008 hat sich die Gruppe neu form iert und 
2009 erstmals in neuer Zusammensetzung Werke 
erworben. Bei ihren Erwe rbunge n im verga ngen en 
Jahr berücksichtigte die Gruppe sowohl in terna tio- 
nale wie auch schweizerische Positionen und achte te 
da rauf, möglichst zentrale Werke der Künstlerinnen 
und Künstler zu kaufen. 
Zu den neuen Ankäufen gehört die Arbeit 
«N.O.Body» ( 2008) von Pauline Bou dry (*1972) und 
Renate Lorenz (*1963). Die beiden in Berlin leben- 
den Künstlerinnen setzen sich inihremWerkmitder 
Geschichte sexueller und geschlechtlicher Diskurse 
und Praktiken auseinander. Erstmals weckten sie die 
Aufmerksamkeit an den Swiss Art Awards 2007 mit 
dem Werk «Normal Work» (2007). Für diese Instal- 
lation aus einem Film und 13 Fotografien griffe n sie 
auf Fotografien aus den 1860e r Jahren zurück. Die- 
se zeigten aussergewöhnliche Selbstportraits eines 
Dienstmädchens aus dem viktorianischen London. 
Bei der Hausangestellten handelte es sich um Han- 
nahCullwick,dienichtnurvonfrühmorgensbisspät 
PAULINE BOUDR Y 
RENATE LORENZ «N.O.BODY»
	        
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