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DIE JUGENDBEWEGUNG
VOR DER GEISTIGEN ENTSCHEIDUNG®
Wenn man die geistige Lage eines Volkes dadurch auf der Karte markieren
könnte, daß man die Höhepunkte, die Stellen der größten Intensität und der
ursprünglichsten Geborenheit miteinander verbände, wenn es möglich wäre,
Wetterkarten des Geistes herzustellen, die auf die Altersklassen bezogen
wären: so zweifelt niemand daran, daß die dichtesten Linienbündel über die
jugendlichenMänner laufen würden. Hier, wo der Wille zum Nicht*Relativen
am stärksten ist, wo die ungehemmte Geistigkeit noch kümmernislos her*
vorbrodelt, hier ist der eigentliche Sitz des geistigen Menschentypus. Nachher
beginnt der große Aufsaugungsprozeß, den die bürgerliche Gesellschaft unter*
nimmt. Die geistigen Werke werden das Opfer ihrer eignen Interessant*
heit und ihre Schöpfer das Opfer des bürgerlichen Bildungsdranges. So
ziehen sie fort in Scharen von der Berufung zum Beruf, zum Intensiven,
zum Extensiven, von der Höhe zur Breite, von den Wenigen zu den Vielen,
von den Geistigen zu den Intellektuellen. Und wenn man nun suchen geht
in den älteren Altersklassen, zwischen 30 und 70, dann verklingt die rufende
Stimme echolos im leerenRaum: kaum hier und danoch ein jugendlicher Mann.
Kaum ein einziger und sein Eigentum. Alles ist enteignet und verpfändet.
Wo ist die Rettung . . . ? Wie kann man die Besten vor ihrem Untergange
bewahren, der in dem Aufstieg zur bürgerlichen Höhe liegt? — Man mache
ihnen die Urheimat erträglich,* man dulde nicht weiter, daß sie einsamer sind
als sie sein wollen. Man schließe ein Defensivbündnis zu ihrem Schutz. Die
Front wird immer breit genug gehalten sein.
.. . Zu wem reden wir also? Wer ist das Volk, das am Fuße unserer
Hügel kauert? Sind es die Greise, die den Vorduft der Grüfte in den
Haaren tragen? Sind es die wohlbestallten Bürger mit dem gesicherten
Leben und den festen Überzeugungen? —'Von allen diesen ist nichts zu er*
warten, und keiner von uns denkt an sie, wenn er spricht. Aber wir reden auch
nicht zu den Oppositeuren von Beruf und den Wichtigtuern des Kontrastes.
Wir reden zur Jugend.
Denn dorthin redete jeder bisher, der im Aufrausch des Geistes lebte.
Aber nicht zu der beliebigen Jugend. Nicht zu der, die schon weiß, was aus
ihr wird, nicht zu den Bürgern unter ihr, sondern zu der wagemutigen, die
sich bewegt.
®Mit Erlaubnis des Verfassers abgedruckt aus »Die Intellektuellen und die Geistigen«,- vgl.
Anzeige auf dem Umschlag. Der Herausgeber.