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Demokratie erfordert eine gewaltige Menge Energie,,
nnd durchwegs leistet der schweizerische Arbeiter als
Mitglied der Gemeinde-, Kantons- nnd Bundesinstan
zen viel mehr geistige Arbeit als etwa der Proletarier
Deutschlands bei seiner alle fünf Jahre wiederkehren
den Wahlagitation.
Gleichzeitig aber war die schweizerische Arbeiter
bewegung immer noch ein Objekt eines gewissen
geistigen Fremdenverkehrs. Seit die Jurassier, die
Genfer nnd die Zürcher Ende der sechziger Jahre allen
sozialistischen Theoretikern Gastfreundschaft gewähr
ten, bestehen in der schweizerischen Arbeiterbewegung'
fast jeder bedeutenden Stadt ein oder mehrere theo-
retisierende Milieux. Man kann indessen ruhig be
haupten, daß die meisten dieser ausländischen Redner
und Schreiber im allgemeinen sich niemals praktisch
mit der schweizerischen Arbeiterbewegung beschäftig
ten, daß sie aber auch meistens keinen Zusammenhang
mit der Bewegung ihrer Heimat hatten, so daß die
in diesen Milieux entstandenen Theorien immer welt
fremd waren.
Mit Kriegsausbruch wurde dieses theoretisierende
Ausländermilieu plötzlich ein Milieu von Deserteuren
und Refraktären. Ein Milieu aber, in dem italienische,,
deutsche, russische, österreichische und französische
Refraktäre Zusammenleben und gemeinschaftlich eine
Moral suchen, die sie vor ihren eigenen Gewissen
rechtfertigt. Ein solches Milieu muß geistiges Gift
hervorbringen. Wir billigen die Refraktion eines
Mannes, der nur noch pro forma Bürger seines Ab
stammungslandes ist, tatsächlich aber Schweizer ist.
Wir verstehen und billigen die Refraktion eines sla
wischen oder romanischen Oesterreichers, eines pol
nischen oder elsässischen Deutschen, denn eine solche
Dienstentziehung ist de facto ebenfalls ein Akt der
Solidarität, wenn auch nicht der Solidarität gegen
über der Staatsgemeinschaft, so doch gegenüber der
Bluts- oder Herzensgemeinschaft.
Anders aber die sozialistischen Refraktäre der
Zürcher, Basler, Berner Diskutierklubs, die leider
geistig in der schweizerischen Arbeiterbewegung lei-