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weit nirgends zu finden ist, die Moral, 'das heißt die
auf tausendjährige Erfahrung aufgebaute Lehre, daß
nur dann ein menschliches Zusammenleben möglich
ist, wenn die eigenen Wünsche und Begierden Halt
machen vor dem Lebensrechte des Nächsten. Warum
soll diese Lebensregel nur Menschen binden und nicht
auch die aus Menschen zusammengesetzten Nationen'?
Warum sollen die Lenker der Staaten in ihrem Ver
kehr untereinander einer andern Weisheitsregel fol
gen?
Vor unserer Zeit ist es der Regierungsgewalt ge
lungen, den ewigen Kämpfen der Stände eines Staates
ein Ende zu bereiten durch Ablösung des Faustrechts
durch ein jedermann bindendes Gesetz. Heute denkt
niemand mehr daran, Städte oder Herrensitze durch
Umwallung mit Schutzgräben abzuschließen. Trotzdem
es noch bösartige Menschen auf der Erde gibt. Die
Zeiten haben sich eben geändert. Die Staatsbürger
verlassen sich auf den Schutz des Gesetzes. So wird
auch in das internationale Leben der Völker nur
dauernder Friede kommen, wenn ein erzwiingbares
übernationales Gesetz dem Grundsatz überall Geltung
verschafft, daß Recht vor Macht geht, daß kein stär
kerer Staat den schwächeren unbestraft vergewaltigen
darf.
So lange wir aber zu dieser höheren Rechtsstufe
nicht emporgestiegen Sind, sollte die Diplomatie wenig
stens versuchen, durch eine anständige aufrichtige
Politik das Vertrauen der Völker zu gewinnen, an
statt durch Geheimtuerei und Schliche aller Art das
Völkerleben zu vergiften. Mit Recht bezeichnet schon
Kant die „Fähigkeit der Publizität“ als das wahre
Kennzeichen einer ehrlichen moralischen Politik. Und
selbst ein Realpolitiker wie Bismarck war beim Zu
rückschauen auf sein Lebenswerk zur Erkenntnis ge
kommen, daß „in den meisten Fällen eine offene und
ehrliche Politik erfolgreicher als die Feinspinnerei
früherer Zeiten“ sei. (Gedanken und Erinnerungen II,
253.) Der Ein wand der heutigen Diplomaten, daß man
Staatsgeheimnisse anderer Kabinette nicht verraten
dürfe, ist grundlos. Eine moralische, den eigenen mit