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Garf Sternßeim: Wleta.
Eine Erzählung (Leipzig, Kurt Woiff, Verlag).
Dass Carl Sternheim lebt und existiert, dessen müssen wir uns tief freuen.
Das ist in der Literatur der Mann mit dem bohrendsten Blick für Fassade,
Attrappe, Cache, und mit der festesten, erhabensten Gläubigkeit an den Men
schen. Er schaut Personen an, und in Explosion fliegt Angesetztes, bequem
Geerbtes, umständlich Vorgetäuschtes. Frei wird der Menschenkern, das kleine,
schimmernde, zitternde Licht des Menschen, das zu allem Licht will. Die Ge
sellschaft und jede Lagerung der Gesellschaft ist für Sternheim nur da, um in ihr
das Ziel der Unabhängigkeit, der Beugungslosigkeit, der Freiheit zu lehren.
Er ist der erste politische Dichter in heutiger deutscher Sprache. Die Unmittel
barkeit, die Absolutheit des dichterischen Vordringens zur menschenhaften
Aktion seiner Figuren macht, dass Sternheim der klassische Dichter der Frei
heit ist. (Das hat Sternheim zum ersten Male der neuen deutschen Dichtung
verliehen: den Sinn des Standpunktes; die Heiligkeit des Inhalts. Werke von
der handelnd enthüllenden Unmittelbarkeit seines Schauspiels „1913“ oder die
Kühnheit und politische Voraussage im absoluten Bekennntnistum des Dramas
„Tabula rasa“ kannten die Deutschen bisher nicht!)
Er hängt gar nicht mehr von der Kenntnis eines bestimmten Milieus ab.
Auch nicht von der umschreibenden Erklärung des Psychologischen. Er ist
direkt. Sein Wissen vom Absoluten des Menschdaseins ist so vollkommen,
dass er mit gleicher Einzelkraft in jede Schicht hineingreifen kann (Typus des
klassischen Dichters). Meta ist ein Dienstmädchen. Man lese, was Sternheim
von diesem Menschwesen sagt: „Zum Denken der Kopf, die Beine zum
Schreiten. Zwischen Hals und Hüfte ist der Rumpf, Sitz der Organe, die uns
das Himmlische vermitteln: durch Lungen und Herz den Odem Gottes, aus dem
wir leben.“ Diese ungeheure, einfache Wahrheit, die den Menschen als ein
Geschöpf des Willens hinstellt — wer hat das bisher gekonnt? Er ist Klassiker
(das heisst: einer der neue Normen gibt) auch in der Anschauung, in der
schöpferischen Anschauung des Menschen als Geistwesen.
Das Dienstmädchen Meta verliert ihren Bräutigam im Kriege. Sternheim
lässt sie aus dem Zusammenbruch hervorgehen mit ihrer eigenen Schöpfung im
Hirn, der Fiktion von dem Idealbräutigam. (Wie in einer andern Novelle den
Koch Napoleon mit dem Idealbild der gestorbenen Tänzerin.) Ihr Willenswesen
entfaltet sich stets im Dienstmädchenhorizont. Aus ihm beginnt sie ihre
Umwelt zu beherrschen. Überlegene Unversöhnlichkeit gegen die Gesellschaft.
Sie endet als die bewusste und, nach allen ihren Kräften, hoch menschenwürdige
Revolutionärin eines Altfrauenhauses. „Meta wie Jugend, Sturm und himm
lische Überredung fuhr in sie. Rollte ihnen den Film des Lebens zurück, wies
die häufigen Höhen und zeigte einer jeden an der entsprechenden Stelle ihre
ganz unvergleichliche, irdische Wirksamkeit.“ — Diese sind die Schlussworte
Metas:,, Ihr seid nicht stolz genug auf euch, ihr klösterlichen Weiber. Mir gefällt
nicht die Demut, das Bedauern eigener Unzulänglichkeit und nicht Unter
werfung unter hohe, unumstössliche Vorschrift. Schönste, irdische Wirklich