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rosa Epoche. Ja besonders Feinfühlige unter
scheiden noch einige Unter ^Epochen so z. B. inner
halb der blauen Peri ode die Epoche der Raben
und die Epoche der großen Bettler. Die letzte
Wandlung des Künstlers fällt in die Kriegszeit. Pi
casso hat den Pinsel weggelegt und zum Zeichen
stift gegriffen. So entstanden in den letzten 4 bis
5 Jahren eine Reihe von Zeichnungen, deren Stil
man sehr äußerlich als »Ingrismus« charakterisiert.
Der Übergang von Kubismus zu einem klassizisti
schen Realismus scheint unvermittelt zu sein. Aber
dem Tieferblickenden wird es nicht entgehen, daß in
dem französischen Kubismus klassizistische Form
elemente bereits latent sind. Darüber wird in einem
anderen Zusammenhang noch zu sprechen sein.
Die Zeichnungen Picassos, die wir im »Ararat«
veröffentlichen, gehören der letzten Stilrichtung an.
Wir entnehmen sie der Revue »L'Esprit Nouveau«.
Urbanisten und Passeisten.
Der berühmte amerikanische Städtearchitekt M.
Ford, dem die Franzosen den Plan des Aufbaues der
Reimser Kathedrale anvertraut hatten, ist plötzlich in
seine Heimat zurückgekehrt — angeblich weil ihn
dort große und unaufschiebbare Aufgaben erwarten.
Zu seinem Nachfolger wurde der französische Archi
tekt M. Abeier ernannt, was alle »Patrioten«, denen
die Verwendung eines Ausländers für eine so rein
nationale Angelegenheit, wie die Rekonstruktion der
Reimser Kathedrale, schon lange ein Dorn im Auge
war, mit unverhohlener Zufriedenheit erfüllt. Daß die
Demission Fords ein Erfolg nationalistischer Quer=
treibereien ist, wissen alle Eingeweihten. M. Ford
wurde aber nicht nur als Amerikaner, sondern auch
als Haupt des sogen. »Urbanismus«, d. i. der mo--
dernen rationellen Stadtbaukunst bekämpft. Man
begreift, daß der Städtebau für Frankreich nach diesem
Kriege, der eine Unzahl von. Siedlungen der nörd=
liehen Departements zerstört hat, das aktuellste Ar=
chitektur^Problem sein muß. Und es ist fast selbst^
verständlich, daß sich in dieser wichtigen Frage zwei
Parteien schroff gegenüberstehen: eine reaktionäre,
die sogen. Passeisten, die sich mit den Archäologen
verbündet haben und eine stilgerechte Wiederher^
Stellung des historischen Status quo ante verlangen,
und eine fortschrittliche, die sogen. Urbanisten, die
mehr den praktischen Prinzipien der amerikanischen
Stadtbaukunst huldigen. Daß aber auch ihre Ten=
denzen der historischen Pietät Rechnung tragen, geht
aus einer Instruktion hervor, die dem Minister für
die befreiten Gebiete von den Urbanisten unterbreitet
wurde. Auch sie treten hier für die Wahrung des
ursprünglichen Charakters und der historischen Züge
der jeweils aufzubauenden Stadt ein, aber sie be^
gnügen sich nicht damit, nur rückwärts zu schauen,
sondern sie bedenken auch die Zukunft. »Der Ur
banismus«, sagt Leandre Vaillart — »ist die Kunst
vorauszusehen, was eine Stadt in 10, in20, jn 50 Jahren
sein wird«.
HOLLAND.
Neues von Lodewijk Schelfhout.
Der Holländer Lodewijk Schelfhout, um den es in
den letzten Jahren ein wenig stumm geworden war,
hat 1919 eine mehrmonatige Reise nach Korsika
unternommen, von der er im August 1920 nach HoL
land mit einer reichen Ausbeute neuer Arbeiten zu=
rückkehrte. Auch diesmal half ihm der Süden und
das Lateinertum aus einer Art Erstarrung, in die im
nördlichen Holland scheinbar ein jeder Künstler fällt,
der seine Phantasie zum Angelpunkte seiner Mal
weise macht. Wer nicht genug hat an den malerischen
Gegebenheiten dieses Landes, wer diese Kühe auf
grüner Weide, die von Möven überflogenen Meeres^
wellen, diese Windmühlentürme an langgezogenen
Wasserkanälen gar etwas abgenutzt, von zu viel
Maleraugen gleichsam aufgezehrt empfindet und in
die Schau der inneren Welt flüchtet, der gerät offen=
kundig bald an einen toten Punkt, wo der Künstler
sich wohl technisch weiter entwickelt aber geistig matt
wird. So ergeht es vielen der holländischen Express
sionisten und darum entweicht jeder alle paar Jahre sei
es nach Südfrankreich, nach Spanien oder nach Afrika.
Schelfhout suchte die Einsamkeit und Kulturferne
Korsikas auf und nahm dort beides, die Landschaft
und die menschliche Figur aufs Korn. Aber sein
Gestaltungsprinzip ist nicht mehr wie früher dem
Kubistischen angenähert, sondern hält sich Vorzugs^
weise an eine weiche, gesangliche Wiedergabe der
Realumrisse. Seine Technik ist die der Waschzeich^
nung. Gegenwärtig radiert er — nach der Erinne^
rung — mit der kalten Nadel die ihn noch erfüllenden
Korsikaner Eindrücke auf Zinkplatten, von der jedes^
mal etwa acht Abdrücke hergestellt werden. Viele
der Arbeiten aus den Jahren 1914—1918 hat er bei
seiner Rückkunft aus Korsika zerstört. In Amsterdam
hält er soeben eine Gesamtschau seiner letztherge^
stellten Werke ab. Dr. H.