Walter J. Moeschlin
Vom Unbewußten in der Kunst
Im Jahre 1928 hatte Hans Arp, aus genialem Gefühl für die
Vorgänge des Entstehungsprozesses eines Kunstwerkes, einige
seiner Reliefs „Nach den Gesetzen des Zufalls geordnet‘ be-
titelt. Ein Vorgang wurde hier durch das Werk eines Künstlers
aufgedeckt und enthüllt, der bis dahin unserem Bewußtsein
verborgen geblieben ist, verborgen, weil man nicht den Mut
aufbrachte, einen Prozeß, den man so gerne den Mysterien zu-
geordnet sehen wollte, ans Tageslicht zu befördern und einer
bewußten Kontrolle zu unterwerfen.
Arp hat als erster den Mut besessen, offen und ohne jede Scheu
dem Zufall die hervorragende Bedeutung einzuräumen, die ihm
in Wahrheit bei der Entstehung eines Kunstwerkes zukommt.
Die Methode, die Anordnung einiger abstrakter Gegenstände
(flache Ovalkörper) auf einer Ebene dem Zufall zu überlassen,
hat ihm gezeigt, daß mittels ihr Bildwirkungen zu erzielen sind,
die mit dem Bewußtsein zu erreichen nicht möglich waren. Im
Grunde hat er nichts anderes getan, als was jeder Zeichner
unbewußt tut, wenn er aus zehn hingeworfenen Skizzen die
geeignetste ausliest, oder der Photograph, der von dreißig und
mehr Aufnahmen desselben Gegenstandes sich für das ihm ent-
sprechendste Bild entscheidet.
Hans Arp hat also in künstlerischer Demut das Wesen des
schöpferischen Vorganges erkannt und mit großer Ehrlichkeit
durch seine Bildtitlung zur Schau gestellt. Wenn wir daher
auf Grund seiner Erfahrungen und derer anderer zu sagen
wagen: jedes große Kunstwerk ist ein „Zufallsprodukt‘“, oder
besser gesagt, ein Produkt der Ausnützung des Zufalls; so
wissen wir, daß wir damit einem Vorgang eine Bedeutung bei-
messen, den leichthin als Zufall zu bezeichnen sich unsere Ver-
nunft sträubt, denn was ist letztendlich dieser Zufall? Ist er
nicht Aeußerung des Unbewußten durch mechanischen Reflex
projiziert ?
Wir sehen in den durch die automatische Methode entstandenen
Bildwerken Verdrängtes ans Tageslicht treten und sonst nur im
Traum Erlebbares optisch faßbar gemacht. Im scheinbar Zu-
fälligen entdecken wir subjektiv Echtestes. Ob noch tiefere
Schichten des Unbewußten durch diese Methode zu erfassen
sind, nämlich zu kollektiven Urbildern vorzudringen, wird die
Zukunft zeigen.
Obwohl die Art, in dieser Weise Kunstwerke zu konzipieren,
nicht ein Privileg unserer Epoche zu sein scheint, denn schon