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DIE NEUE KUNST UND DIE DEUTSCHEN STÄDTE
Eine Rundfrage (Fortsetzung)
KARLSRUHE
Es würde leidit fallen, mit bissigen Worten den rückständigen und zähen Geist zu geißeln, der
seit Jahren in allen Kunstangelegenheiten zu Karlsruhe herrscht. Fruchtbarer aber wird es sein,
den Ursachen dieser Verhältnisse nachzugehen. Man kann den ständigen Rückschritt verfolgen an
dem Niedergang der Akademie, der bald nach ihrer Gründung durch Schirmer begann. Mit der
Ablehnung Feuerbachs war der abschüssige Weg endgültig beschritten und selbst Thoma und
Trübner, beide von der Akademie mehr geduldet als fruchtbar gemacht, vermochten nichts gegen
diesen vorbildlich negativen akademischen Geist,- an Stelle eines fruchtbaren Schülerkreises ent
wickelte sich typisch verkalktes Epigonentum. Von den anderen Kunstanstalten verfiel die wichtigste,
die Kunsthalle, die Sammel- und Brennpunkt der lebendigen Kunst hätte sein sollen, immer mehr
einem beruhigenden Winterschlaf,- die Schätze verfielen, und günstige Gelegenheiten zu wichtigen
Erweiterungen wurden durch die Laune eines Fürsten verpaßt, der — um nur ein Beispiel zu
nennen — eine früher leicht zu schaffende, lückenlose Veranschaulichung von Trübners »Werk«
verhinderte, nur weil er Trübners Malweise nicht »schön« fand. Ober das Theater vollends, das
vor Jahren unter Devrient und später unter Mottl eine Glanzzeit von europäischer Bedeutung
erlebt hatte, will ich schweigen,- es genügt eine vor kurzem erlassene Kundgebung der Intendanz
mitzuteilen, die mit aller wünschenswerter Deutlichkeit die Kriterien dieser Anstalt resümiert: »die
Werke unsres jüngsten Dichtergeschlechtes — der Hasenclever, Pulver, Johst, von Unruh, Toller,
Rubiner, Kokoschka, Goering und wie sie heißen — haben sich bei ruhiger Prüfung als ausnahms=
los allzu chaotisch glühend,- als gar zu ,absurder Most' erwiesen, als daß die Intendanz die Ver*
antwortung für den unvermeidlichen Mißerfolg einer solchen Aufführung tragen und mit dem
Verlust an Zeit, Geld, Arbeitskraft: einer anspruchsvollen Einstudierung bezahlen könnte«.
Dies ist die typische Einstellung der jungen Kunst gegenüber,- absurder Most — es ist gefährlich
ihn zu trinken, es ist schon gefährlich ihn nur anzubieten. Deshalb verhinderte man, wie man nur
konnte, in mißtrauischer Selbstgefälligkeit Ausstellungen der neuen Kunst, und wenn man sie nicht
umgehen konnte^ <weil doch auch das Nachhinken gefährlich ist!) — zog man sie schleunigst ins
Lächerliche unter dem einmütigen Beifall der selbstsicheren und tapferen Bürgersleute, die allein
wissen, was »gute Kunst« sei. Die Ausstellungen des Kunstvereins rochen meist verdächtig nach
den Bedürfnissen engherziger Kleinbürger, die »moderne Galerie Moos« mußte sich notgedrungen
immer mehr der Gesinnung der Stadt anpassen, und nur in dem einsamen Atelier des russischen
Malers Zabotin sammelte sich ein kleiner Kreis nunmehr größtenteils ausgewanderter wirklich
junger Künstler. Aber von hier drohte der gut bürgerlichen Kunst erst recht Gefahr — dies war
ein Russe und seine Freunde sahen entsetzlich revolutionär aus!
Man kann das Wachsen solcher Kunstgesinnung und ihre Quellen verfolgen,- sie liegen im
genius loci dieser Stadt mit dem verdächtig schläfrigen Namen: Beschränktheit mit allen ihren
schwarzen Folgen, Kleinlichkeit, Gedrücktheit, alles Eigenschaften begünstigt von einem wenig
straffen, oft lähmend feuchten Klima,- der letzte Fürst war die Inkarnation.
Dies Alles zu wissen ist wertvoll zur Beurteilung der Veränderungen, die als Frucht der staat
lichen Umwälzungen sich in den letzten Monaten vollzogen haben. Um es sogleich zu sagen: es
lebt der neue Geist und in einigen tatsächlichen Leistungen hat er bereits Gestalt angenommen.
Zunächst hat der Staat, wenn auch unter Vermeidung durchgreifender Maßnahmen und dadurch
etwas zaghaft an der Kunstschule <die durch Zusammenlegung der Akademie und Kunstgewerbe
schule in größerem Rahmen entstanden ist), Wiederbelebungsversuche angestellt durch neue Be
rufungen aus dem Kreis der jungen Kunst: Künstlern wie Babberger, Wolf, Haueisen, Gerstel,