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lichen Bilderbuch der Kathedralen nur zögernd abwandte, war emp-
fänglich für gebundene Holzschnittfolgen mit erläuterndem Text,
welche die Bilderwelt der großen Gotteshäuser in das stille Kämmerlein
des Einzelmenschen brachten. Diesem Bedürfnis einer am Vorabend
der Reformation religiös neu bewegten Zeit antworteten die großen
Holzschnittfolgen Dürers, die auch als Bücher gebunden heraus-
gekommen sind, und die man wohl zu seinen Hauptwerken zählen darf:
Die jugendlich genialen Holzschnitte zur Offenbarung des Johannes,
die Passionsfolgen — zwei in Holzschnitten, daneben eine in Kupfer-
stichen — und das mehr erzählende Marienleben.
Vergessen wir nicht, daß der Holzschnitt in Dürers Zeit auch derbe-
ren Bedürfnissen diente. Auf den Märkten kaufte man die Flug-
blätter, die — Vorläufer unserer Zeitungen — über die Ereignisse des
großen Welttheaters, noch lieber aber über merkwürdige, wunderbare
oder grausige Ereignisse in Wort und Bild berichteten. Einer Zeit, die
das Lesen noch nicht als allgemeine Kunst übte, war das Bild viel-
leicht noch wichtiger als der unsern, und es war der Holzschneider,
der diese Bilder lieferte, genau so, wie er die Heiligenbilder auf den
Markt brachte, die man für billiges Geld erwarb und zu Hause an die
Wand nagelte. Dürer hat sich auch hier nicht fern gehalten, ist uns
doch z.B. ein Flugblatt erhalten geblieben, das ein für das damalige
Europa neues Tier, ein Nashorn, darstellt.
Der Holzschnitt hatte sich aus bescheidenen Anfängen mächtig ent-
wickelt, in Verbindung mit dem Buchdruck, der ja ursprünglich nichts
anderes war als Holzschneidekunst. Wir glauben heute zu wissen,
daß der Künstler in den meisten Fällen nur der entwerfende Zeichner
war, der den „Riß‘ lieferte, während die Anfertigung des Druckstockes
einem Spezialisten, dem eigentlichen Holz- oder Formschneider vor-
behalten blieb. Dieser hatte die nicht leichte Aufgabe, der Zeichnung
des Meisters möglichst treu zu folgen und doch einen soliden Druck-
stock zu liefern. Wenn der entwerfende Künstler die Zeichnung nicht
direkt auf die Holzplatte gezeichnet hatte, blieb dem Schneider auch
die Uebertragung auf den Stock überlassen. Das Verfahren war im
weiteren so, daß alles, was auf dem Entwurf Linie war, auf der Holz-
plat:e vom Schneidemesser nicht berührt wurde, während der helle
Grund der Zeichnung aus dem Holzstock als Vertiefung heraus-
geschnitten wurde. Naturgemäß bedeutete eine solche Uebertragung
eine Vergröberung; denn allzu feine Linien ließen sich nicht nach-
schneiden, da die dünnen Holzrippchen beim Druck gebrochen wären.
Selbstverständlich wird der erfahrene Holzschnittzeichner auf diese
technische Beschränkung Rücksicht genommen und eine auf einfache,