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Von Gottes- und Menschenrechten.
individuellen Christusinkarnationen wegen, die bei Zinzendorf
und Lavater auftreten). Seit 1817 hält G. die Kirche für ein für
das Volk notwendiges Institut (Bildungsesoterik wie auch bei
Herder). Als ,Söhne Gottes' können wir Gott in uns selbst an
beten.
Goethe ist religiöser Autodidakt, der nur dem Zeugnis seines
eigenen Gewissens folgen will. Wo Christus in der Kirche als
Offenbarungsprinzip steht, dort steht für ihn die offenbarende
Natur. Er will Christus anbetende Verehrung entgegenbringen,
aber der Sonne ebenso (Gleichsetzung von geistiger Weihe und
Natur, und damit Entweihung oder Natursakramente). Im Hei
ligen sieht er das dem Menschen sich verkündende Göttliche;
aber das Kriterium des Heiligen ist die Erfahrung: das Heilige ist
dort, wo es Erlebnissen, Dingen und Menschen gegenüber nur all
gemeine Zustimmung, Beifall, Hingebung gibt. Unter den Attri
buten des Göttlichen erscheint auch das ,Allerheiternde'.
Den biblischen Begriff des lebendigen Gottes' legen Goethe
und Herder im Sinne des aristotelisch-spinozistischen Welt
bewegers aus. Gegen Jacobis Schrift von den „Göttlichen
Dingen und ihrer Offenbarung“ (1812), insbesondere gegen Ja
cobis Satz: die Natur verberge Gott, empfindet G. eine heftige
Abneigung. Immer wieder erscheint die Gleichsetzung von Gott
.und Natur (eine groteske Idee, wenn man die neueren ökonomi
schen, darwinistischen und psychoanalytischen Theorien ver
gleicht). Er rettet sich, Jacobi gegenüber, in sein altes Asyl,
Spinozas Ethik: die Natur handelt nach ewigen, notwendigen, un
verbrüchlichen Gesetzen; gerade darin bestätige sich Gott.
Aus der Zeit seiner Loslösung vom Christentum rührt Goethes
Entdeckung des Dämonischen, als eines Gegenpols zur sitt
lichen Weltordnung, her. Das Dämonische gilt ihm indessen nicht
als eine verneinende, sondern als eine durchkreuzende Macht. Im
Menschen ist es das Titanische (Faust), in der Natur das Regel