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L?er Begriff „Volk" setzt sich in Friedenszeiten eigentlich aus vielen Handlungen,
Äußerungen und Werken zahlloser Einzelner zusammen und das geistige, wie
das sinnliche Antlitz des Volkes enthüllt sich mehr in höchstpersönlichen Taten
seiner geistigen Führer, als in allgemeiner, schlüssiger Bedeutung der Gesamtheit.
Aber Augenblicke verraten dieses vielfältige, doch im wesentlichen streng be
stimmte Angesicht einer Nation, an dessen Zügen die Großen und weithin
sichtbaren Einzelnen ebenso schaffen, wie jeder geringe und unter der Scholle
seiner Tage verborgene Alltagsmensch im Volke. Die ferne Vergangenheit
schlägt ebenso ständig mit an diesem gewaltigen Steinblock, der die Form des
Bildes „Volk" enthält, wie die Gegenwart, und die Zukunft wird weiter daran
schaffen. Dieses Antlitz und diese Seele waren in Urzeiten, als die Geschicke
der vielen Stämme, die noch unzusammenhängend in sehnsüchtigen Wander
zügen ihre Wohnsitze wechselten und suchten, gegeneinander und mit fremden
Völkern kämpfend, mannigfache Verbindungen eingehend und wieder lösend,
Verwandtschaften und Blutmischungen anstrebend und abstoßend, vorbestimmt
und gegeben, wenn auch gleichsam noch im rohesten Felsen mit starrer Unver
brüchlichkeit schlummernd, sie waren ebenso gegeben, wie heute, wo sie durch die
Arbeit vieler, in unzähligen Gräbern ruhender Geschlechter, deutlicher, seelen-
hafter, mannigfaltiger ausgeformt erscheinen. Die Züge seyen sich, wunderbar,
widersprechend, vielfältig und dennoch in großen Augenblicken eindeutig, mit
der Erhabenheit einer Offenbarung zusammen, und wenn die Stunde kommt,
da das Volk aus irgend einem großen oder kleinen Anzeichen — gibt es ein
großes oder kleines Wunder? — sich als solches offenbart, wissen wir alle:
„das ist deutsch" und können die Erscheinung mit keiner andern irgend einer
andern Nation verwechseln, das größte Werk, wie das kleinste kann, wenn es
dem Herzen des Volkes angehört, keinem andern eignen, als eben dem seinen.
Deutsch ist das Rechtssprichwort, das deutsche Volk schlägt sein blaues
Auge auf, wenn sein uraltes Märchen mit dem geheiligten Wortlaut erzählt
wird, den die Brüder Grimm für unsere Ewigkeit gesammelt und aufbewahrt
haben, die diesen stillen Sinn besaßen für das Angesicht und den gesunden
Heldenkörper der Deutschen und die mit ihren treuen Händen an den Zügen
mitgebildet haben, die wir erkennen. Deutsch ist das Volkslied, das in jedem
Tal, auf den Höhen, am Meer, in den vielen Mundarten ersonnen und gesungen
wird, die doch in der einen, einzigen Einheit der Sprache zusammenfließen, welche
die unsrige ist. Deutsch und nur deutsch ist und kann sein die zugleich so viel
sinnliche und so überirdische, aus dem Einzelnen ins Jenseitige hinab—hinauf
langende Zeichnung eines Albrecht Dürer, die erhabene Vielfältigkeit und klare
Verfchlungenheit Sebastian Bachs, die barocke Großheit und einfache Massigkeit