Das Christentum, unter dem hier nicht fo sehr die Evangelien, als
die spätere pauliuifche, patrifiische, europäische Entwicklung begriffen ist, sucht sein
Sdeal auf dem Wege der vollständigen Verneinung aller natürlichen Erlebe, bildet
also die äußerste Negation des Heidentums. Me Erlebe find „sündhaft", stud der
„alte Adam", der ausgezogen werden muß, stud die „Erbsünde", die nach einer kirch
lichen Autorität wie Bellarmiu im Verluste unserer übernatürlichen» daß heißt, also
geistig-freien A< tur besteht (ex sola doni supernaturalis ob Adae peccatum
amissione). „Der Leim, aus dem wir gebildet worden» ist verdammlich", er
klärt Luther» und Calvin druckt es am schärfsten ans: Ex corrupta hominis natura
nihil nisi damnabile prodire. — Das Erreichen einer höheren Welt ist daher
nach übereinstimmender christlicher Austcht nur durch ein Wunder möglich (Guadeu-
wahl» gratia praeveniens), wobei der Streit zwischen den Protestanten und
der mildesten katholischen» etwa von Alochler formulierten Austcht nur darin
besteht, ob die guten Werke, der Glaube und die Liebe (fides formata) neben
dem Verdienst Christi ganz unnütz, ja schädlich, oder demutsvolle Nebensache stud.
Das Konzil von Erieut hat ausdrücklich die Rechtfertigung als eine „unver
diente" (gratis) festgelegt. „Gratis autem justificari ideo dicamur, quia
nihil eornm, quae justificationem praedennt, sive fides, sive opera,
ipsam justificationis gratiam promeretur.“ — So hat das Christen
tum die radikalste Scheidung der stuulicheu von der übersinnlichen Welt
vollzogen. Keine Brücke führt hinüber, nur der Opfertod Christi, durch den der
Alenfch als durch eiu Wunder Erlösung empfängt. Der Schauplatz dieses Wunders
ist die Seele des Einzelnen» das Sudividuum wird hiedurch zum Hebel des Welt
alls eingesetzt. Die Gemeinschaft erscheint ins Spirituelle gerückt» eine Kirche
der Geister und nicht der Leiber. Eine andere Organisation als diese, andere
Heilmittel als diese werden für gleichgültig, ja irreal gehalten. Die Vernünftig
keit als Instrument jeder solchen Organisation von Aleusch zu Mensch verliert
neben dem alleiuherrscheudeu Gefühl jeden Wert. „Sorget nicht für den morgigen
Lag". „Mein Reich ist nicht von dieser Welt". — Das isolierte Individuum»
der „Mönch" und der „Heilige" stud Lgpeu dieses Ethos.
Es kaun hier nur ganz oberflächlich angedeutet werden (ich führe alle
diese Muge au anderer Stelle ans), inwiefern es für das Sude nt um charak
teristisch ist, allem Materiellen «neu geistigen Sin« zuzuerkennen und mit dem
Geiste zu durchdringen. Während das Christentum in der Auslöfchuug, Ver
nichtung» Verneinung der stchtbareu Welt den Weg zum Geist sucht, will und muß
das Sudeutllm durch diese stchtbare Welt mitten hindurch, um ste zu heiligen. Me
stchtbare Welt ist als Basts der geistigen (und nur als diese) wichtig, weshalb
auch alle materiellen Verhältniße sorgfältig beachtet, durchdacht und durchfühlt
werden sollen. Niemals wird von ihnen einfach abgesehen. Diese Erleichterung
erscheint hier uustttlich. Zur Bezwingung der schweren Aufgabe bedarf der Mensch
aller Kräfte, des Gefühls, aber auch der Vernunft, die nie aus
geschaltet, sondern in Lguthese mit dem überschwenglichsten innigsten Gottesgefuhl
gebracht wird, am großartigsten im Riesenwerk des Talmud mit seiner undurch
dringliche« Verflechtung von Halacha (Gesetz) und Hagada (gefühlsmäßige Poesie). —
überhaupt ist natürlich nicht das heutige Sudeutum der Suden, das (mit nicht
IW