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Jahresbericht 1941 der Zürcher Kunstgesellschaft
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b) «Sammlung I!)
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Innerhalb der Sammlung des Zürcher Kunsthauses hat sich das Verhältnis von 678
Gemälden und 29 Skulpturen im Jahre 1910 zum Kunsthausbau von 1910, oder von 1251
Gemälden und 76 Skulpturen Ende 1925 zum Bau von 1910 mit Landolthaus und Erweite-
rungsbau von 1925, und schließlich mit einem Bestand von 1865 Gemälden und 145 Skulp-
turen bis Ende 1941, stark verändert. Die Sammlung hat zahlenmäßig stark zugenommen,
ist stark gewachsen.
Nun ist das Wachstum einer Kunstsammlung ja nicht eine einfache Addition von unter
sich gleichartigen und gleichwertigen Einheiten. Die Maxime, es dürfe kein Werk neu er-
worben werden, das nicht zwei schon vorhandene überflüssig mache — der gerade Weg zu
einem letzten und einzigen, das ganz allein die ganze und höchste Kunst in sich schließen
würde — ist eine überspitzte Formulierung der Wahrheit, daß mengenmäßige Vermeh-
rung einer Sammlung nicht ohne gehaltmäßige Bereicherung erlaubt ist. So weit die Frage
der absoluten Qualität.
Das Wachstum einer Sammlung geht aus drei Richtungen: Verbesserung bereits vertre-
tener Künstler oder Gruppen durch prägnantere Werke; Ergänzung «nach rückwärts» mit
Werken von zeitlich zurück liegenden Künstlern oder Gruppen, deren einstweiliges Nicht-
vorhandensein als Lücke und Mangel empfunden wird; Ergänzung mit der fortschreiten-
den Zeit durch nicht nur für die Sammlung, sondern überhaupt, neues Kunstgut (wie vie-
les, was uns heute wertvoll und begehrenswert ist, war vor zwanzig, vor zehn, vor fünf
Jahren noch gar nicht empfangen und geschaffen). So weit die Frage der Haltung in der
Zeit.
Neben den Kriterien des künstlerischen Gehalts und der zeitlichen Lage der Werke be-
steht als drittes ihre Lage im geographischen Raum, auch verstanden als ihre «Nationali-
tät». Es ist als Grundsatz schon aufgestellt und verfochten worden, eine Sammlung in
Zürich habe in erster Linie, ja ausschließlich, Werke zu sammeln, die von zürcherischen
Künstlern aus zürcherischem Wesen heraus und für die zürcherischen Volksgenossen ge-
schaffen worden seien. Aber auch: Zürich habe als immerhin auch schweizerische Stadt
über den nur zürcherischen Bereich hinaus, vor allem schweizerisch zu sammeln. Und
schließlich: Zürich, mit seinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aus-
tausch-Beziehungen zu ganz Europa und über Europa hinaus, besitze Anspruch auf eine
Kunstsammlung von entsprechend weitem, übernationalem Horizont.
Das zeitweilige Vorwiegen des einen oder des anderen Prinzips im Wachstum der
Sammlung im Kunsthaus ist ein direkter Ausfluß auch der privat menschlichen, nicht nur
der künstlerischen Einstellung der Sammler, denen das Kunsthaus entscheidende Zuwen-
dungen verdankt, und der Künstler und Kunstfreunde, bei denen als den dafür be-
stellten Organen der Kunstgesellschaft die Entscheidung über Entgegennahme von Zuwen-
dungen und Vollzug von Ankäufen seit dem Jahr 1910 gelegen hat und heute liegt.
Die Sammlung im Kunsthaus ist aus allen Richtungen über die Fassungskraft des 1925
erweiterten Kunsthauses so weit hinaus gewachsen, daß eine überzeugende Darbietung
ihrer künstlerisch gültigen Bestandteile heute im Nebeneinander nicht mehr, nur im Nach-
1) Nach Ausführungen bei der Uebergabe der Sammlungssäle am 19. April 1942.