Volltext: Jahresbericht 1956 (1956)

des Gebildes ist fixiert. Es besteht zum Teil aus in sich ge- 
schlossenen Vierecken. Die Dimensionen der außen liegenden 
Rechtecke sind jedoch nicht fixiert, das heißt, man kann sich 
diese über den Bildrand hinaus ins Unendliche dehnend vor- 
stellen. Dadurch wird das fixierte Zentrum zum Nukleus, 
der umgeben ist von unbegrenzten Ausdehnungsmöglich- 
keiten. Somit gewinnt jede einzelne Linie eine vollständig 
andere Bedeutung, als wenn sie nur materiell, als in ihrer 
Länge begrenzter schwarzer Strich verstanden würde. Die 
«spitzen» Bilder Mondrians beweisen nun, daß er im Grunde 
genau das anstrebte, was ich oben beschreibe, nämlich die 
unbegrenzte Ausdehnungsmöglichkeit. Gerade in diesem Prin- 
zip des Nukleus, als Ausgangspunkt zu einem ins Unendliche 
sich dehnen könnenden Ordnungssystem, liegt die Größe 
von Mondrians Leistung und deren zwingende künstlerische 
Qualität, die in den «spitzen» Bildern ganz besonders zur 
Auswirkung kommt. 
Oberflächliche Betrachter haben immer geglaubt, Mon- 
drian male Rechtecke, aber was erkennen wir auf seinen 
«spitzen» Bildern? 
Ein glücklicher Zufall hat es der Zürcher Kunstgesell- 
schaft ermöglicht, eines der Hauptwerke von Piet Mondrian, 
die Komposition I, aus dem Jahr 1925, zu erwerben, eben 
eines seiner «spitzen» Bilder. Und erst die intensive Beschäf- 
tigung mit diesem einen Bild und meine Vergleiche mit 
andern haben bei mir die oben skizzierte Theorie erhärtet. 
Obwohl als horizontal-vertikaler Rhythmus gemalt, auf 
einer quadratischen Fläche (von 80x80 cm, an den Seiten 
gemessen), gibt es in diesem Werk kein einziges sichtbares 
Rechteck, sondern ein Sechseck, zwei Trapezoide und zwei 
Dreiecke! Also nur fünf Flächen. Damit ist dieses Bild zu- 
gleich eines seiner sparsamsten. (Das Minimum sind bei 
Mondrian vier Flächen mit nur schwarzer Struktur auf Weiß: 
das Maximum ungefähr 500 Flächen in «New York Boogie- 
Woogie» 1942.) Den fünf Flächen stehen fünf Farben gegen-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.