und ausdruckshaften Gegebenheiten rang, ist Rodin; Giaco-
mettis Platzanlagen mit gruppenmäßiger Häufung von Figu-
ren wirken wie eine von seiner individuellen schöpferischen
Veranlagung und der Zeitstimmung der Nachkriegsepoche
bedingte späte Antwort auf Rodins «Bürger von Calais». Die
«Bürger von Calais», die Schilderung eines Ereignisses aus
dem hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und Eng-
land, des freiwilligen Opfergangs von sechs Bürgern, bedeuten
in der Geschichte des Denkmals die klare Abkehr von jeg-
lichem Pathos heldischer Haltung, damit aber die entschei-
dende Ueberwindung des 19. Jahrhunderts und seines leeren,
individualistisch veräußerlichten, modisch zeitverhafteten
Denkmalkultes!, Dieser einen Absicht dienen alle Darstel-
lungsmittel. Mit schonungslosem Realismus ist, so sehr eine
differenzierte Stufung verschiedener psychischer und physi-
scher Reaktionen auf das gemeinsame Schicksal als kreisende,
komplexe Bewegung in den sechs Gestalten sich abspiegelt,
die Gruppe als Sinnbild heroisch leidender Not vergegen-
wärtigt. Darüber hinaus artikuliert sich in den «Bürgern von
Calais» die Negation der deklamatorischen Denkmalpose im
Verzicht auf den Sockel, auf das entrückende, glorifizierende
Postament. Daß in Calais selber das Monument zunächst für
mehrere Jahrzehnte dann doch auf hohem Unterbau auf-
gestellt wurde, den persönlichsten Intentionen Rodins zu-
wider, hat freilich seinen Grundgedanken verfälscht: das
künstlerisch gestaltete menschliche Drama unmittelbar in der
alltäglichen Lebenswirklichkeit anzusiedeln.
Die Tendenz nach möglichster Lebensnähe der Kunst
charakterisiert das 19. Jahrhundert überhaupt; bei Rodin
paart sie sich mit einem Rückgriff auf verwandte Formulie-
rungen der alten europäischen Kunst. Der schneidend scharfe
Naturalismus des plastischen Details der «Bürger von Calais»
ı2 Vgl. dazu Wolfgang Schöne, Rodins Denkmäler, in: Geistige Welt I (1946),
S. 15£f.
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