ZWEI SURREALISTISCHE BILDER
Der Surrealismus, der in der Regel nach Kubismus und Konstruktivismus
als wichtigste künstlerische Entwicklung der ersten Hälfte unseres Jahr-
hunderts genannt wird, ist, wie bereits im ersten Teil dieses Jahresberichtes
angedeutet, im Zürcher Kunsthaus zahlenmäßig relativ schwach vertre-
‚en. Dies ist um so bedauerlicher, als gerade der Surrealismus keine ın sich
geschlossene Bewegung war, die zu belegen einige wenige Beispiele genü-
gen würden. Im Gegensatz zum Kubismus, dessen Hauptvertreter in den
frühen, entscheidenden Jahren sich einer größtmöglichen Anonymität
unterwarfen, um die neu entdeckte Formensprache um so reiner zur Gel-
tung zu bringen (es bereitet zuweilen eine gewisse Schwierigkeit, die be-
zeichnenderweise oft nicht signierten Bilder Braques und Picassos aus den
Jahren um 1910/11 voneinander zu unterscheiden), hat der Surrealismus
von Anfang an aus dem Neben-, oft auch Gegeneinander äußerst unter-
schiedlicher Künstlerpersönlichkeit bestanden. Ohne Zweifel liegt die
Tendenz zum Individuellen dieser die Zwischenkriegszeit dominierenden
Strömung mit darin begründet, daß es sich beim: Surrealismus weniger
um einen Stil als vielmehr um eine Lebenshaltung handelt. Andre Breton
hat den Surrealismus in seinem Manifest von 1924 mit folgenden Worten
definiert: «reiner psychischer Automatismus, durch welchen man, sei es
mündlich, sei es schriftlich, sei es auf jede andere Weise, den wirklichen
Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Vernunft-
Kontrolle und außerhalb aller ästhetischen oder ethischen Fragestellun-
gen». Er fährt fort: «Der Surrealismus beruht auf dem Glauben an die
höhere Wirklichkeit gewisser, bis heute vernachlässigter Assoziations-
Formen, an die Allgewalt des Traums, an das absichtsfreie Spiel des Ge-
dankens. Er zielt darauf hin, die anderen psychischen Mechanismen zu
zerstören und ihre Stelle einzunehmen zur Lösung der wichtigsten Le-
bensprobleme.» Ohne diese Aussage des Wortführers und wichtigsten
Theoretikers des Surrealismus zu überanstrengen und allen in diesem
Zusammenhang genannten Malern als Credo anzulasten, muß doch fest-