Aber sogar diese 1954 entstandene Studie bewahrt
gegenüber der Skulptur noch eine gewisse Eigen-
ständigkeit. Nicht nur sind Merkmale einer anderen
Plastik, der « Broche» (1953), eingekreuzt, näm-
lich bauchig gewölbte Elemente, die an der «Lan-
gouste» fehlen; auch ist an der Zeichnung das
Vortastende oder Vorprellende des plastischen Scha-
lentiers nicht deutlich herausgebildet. Schliesslich
suggeriert die Zeichnung eine etwas andere Lösung,
als sie dann tatsächlich realisiert wurde. Ihr zufolge
hätte die Plastik nurmehr punktuell (an drei Stellen)
auf dem Boden aufruhen sollen.
gegeben, ihr Haar mähnenartig, mit wenigen,
ungezügelten Linien evoziert; der üppige Mund, die
dunkelste Stelle in der Zeichnung, hat etwas
Saugendes; die Brüste sind gross und schwer; forma
kühn der zusammenraffende Brauenbogen, der
in einem Schwung in den Wangenkontur übergeht
und von dem auch die Nasenkante direkt abzweigt.
Drei Blätter (sie tragen wie bei Müller überhaupt
häufig die Bezeichnung « Ohne Titel») lassen sich zu
einer eigenen Gruppe zusammenfassen, weil auf
ihnen plastisches Volumen suggeriert wird. Das Blatt
von 1954 kombiniert mittels Pinsel und Textilfarbe
Im weiteren möchte ich mich enger an die chrono- ziegelrote schotenähnliche und sackartige Gebilde
logische Folge der Zeichnungen halten, wobei aller- von organischer Weichheit mit scharfen Winkel-
dings zu sagen ist, dass sich bei Müller die ver- formen. Deren Körperlichkeit wird durch schwarze
schiedenen Schaffensphasen oft zeitlich überlappen. Schraffur hervorgerufen. Das Blatt von 1956
«La Femme (Miriam) », das älteste Blatt des An- zeigt eine stelenartige Gestaltung, bei der sich zwei
kaufs, stammt aus dem Jahr 1948. Als Plastiker bei Müller wiederkehrende Motive, nämlich eine
arbeitete Robert Müller zu der Zeit noch in einem Hand und der Kelchbecher einer Blume, ineinander
verhältnismässig traditionellen Sinn figurativ. verschränkt haben. Diese «Blumenhand» hebt
Er kreiste damals um dasselbe Thema, das auch im sich in Violettrosa von einem schwarzen Grund ab,
Blatt «La Femme» angeschlagen wurde. Die der da und dort als darunterliegende Schicht
ersten gültigen Frauenfiguren, 1945/46 entstanden, dasselbe Violettrosa freigibt. Bei dem 1957 gezeich-
blieben in einem Bereich zwischen Realistik und neten Blatt dieser Dreiergruppe (wiederum mit
massvoller Idealisierung. Drei Jahre später, vielleicht Rohrfeder und Nussbaumbeize) wird Plastizität mit-
unter dem Einfluss von Germaine Richier, schlugen tels Verschlingung und Überschneidung angedeutet.
sie ins Antiklassische um. Was heissen will: die Diese Arbeit formuliert das von Robert Müller in
geschmeidig-glatte Oberflächenhaut der Bronze oder der Skulptur häufig angegangene Thema der Ver-
des Gipses wurde schuppig und aufgeklüftet, knotung. Sie legt erotische Assoziationen nahe,
das Frauenbild ins Archaische oder Bedrohliche um- lässt an verschlungene Menschenleiber, an Kopula-
gedeutet. Aber selbst « La Cloche» mit ihrem An- tion denken. Beziehungen zur eisengeschmiedeten
hauch des Dämonischen und die noch stärker defor- «Saba» (1958) scheinen mir offensichtlich.
mierte « Laila» (beide 1951), die einen mit in Nicht weniger als sechs Blätter, zwischen 1954 und
tiefen Höhlen liegenden glotzend-kugeligen Aug- 1957 entstanden, weisen mehr oder weniger aus-
äpfeln anstarrt, bleiben im Vergleich zur wilden geprägt schriftzeichenartigen Charakter auf. Man
Krassheit der Zeichnung zurückhaltend. Müller hat muss sie Im Zusammenhang mit der damals in ganz
mit der Rohrfeder und sepiafarbener Nussbaum- Europa in Blüte stehenden Strömung des Informel
beize (einem ganz ungewöhnlichen, ihm ganz eige- sehen; allerdings handelt es sich bei Müller um ein
nen zeichnerischen Mittel, das er häufig und zu Informel, das sich bereits wieder strukturiert hat.
fast allen Zeiten verwendet) den Typus der ver- . Fünf Zeichnungen dieser Sechsergruppe gleichen
Schlingenden Frau geschaffen. Sie ist als Brustbild formal in gewisser Hinsicht den etwa gleichzeitig
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