Alberto Giacometti: «Vivantes cendres, innommees»
- Eine unbekannte Graphikfolge
Glückliche Umstände führten dazu, dass die Alberto-
Giacometti-Stiftung letztes Jahr eine bisher unbekannte,
nur in sechs Exemplaren vorhandene Graphikfolge von
Alberto Giacometti als Geschenk der Stadt Zürich entge-
zennehmen durfte. Die zwischen 1957 und 1960 entstan-
dene Serie von 52 Radierungen, die in unserer Ausstellung
und in dem dazu erschienenen Katalog zum ersten Mal
vollständig präsentiert wurde, steht in Zusammenhang mit
dem Buch des französischen Dichters Michel Leiris
«Vivantes cendres, innommees» von 1961 und stellt das
aussergewöhnliche Zeugnis einer lebenslangen Freund-
schaft zwischen dem Künstler und dem Dichter dar.
Michel Leiris hatte die Gedichte dieses Buches 1957-1958
nach einer tiefen Krise und einem Selbstmordversuch
während seiner Rekonvaleszenz geschrieben. Giacometti
besuchte ihn in dieser schweren Zeit regelmässig und
porträtierte ihn mit zunehmender Besessenheit auf dem
Krankenlager. Nur die grosse Vertrautheit der beiden
Freunde erlaubte es, die extreme und existentielle Erfah-
rung in Bilder zu fassen und ihr eine über das Individuelle
hinaus gültige Form zu verleihen. Ergänzend zu der
Graphikfolge zeigten wir einige ebenfalls von dem Bewusst-
sein des Ineinandergreifens von Tod und Leben geprägte
Skulpturen Giacomettis. Die Ausstellung, die bei
Publikum und Fachkollegen auf reges Interesse stiess, wird
vom Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt, und vom
Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, übernommen und
wandert anschliessend nach Japan.
Zum freien Tanz, zu reiner Kunst
Diese in Zusammenarbeit mit der Stiftung für die Photo-
graphie erarbeitete Ausstellung war dem Leben und den
pädagogischen Tätigkeiten der zwei wegweisenden Tänze-
rinnen Suzanne Perrottet und Mary Wigman gewidmet. —
Mit Photographien, Skizzen, Briefen und Publikationen,
zum grossen Teil aus dem Nachlass der 1983 verstorbenen
S. Perrottet, wurde deren langes und vielseitiges kunstpäd-
agogisches Wirken nachgezeichnet. Die in ihrem Leben
wichtigsten Begegnungen, allen voran diejenigen mit
E.J. Dalcroze in Genf und mit Rudolf von Laban in
Ascona, waren in zahlreichen Dokumenten nachzuer-
leben. Die Dada-Tanzsoireen in Zürich und Labans
Sommerkurse des «neuen Tanzes» in der «Tanzfarm» des
Monte Veritä, aber auch ihre bis ins hohe Alter ausgeübte
Lehrtätigkeit in rhythmisch-expressiver Gymnastik
erstanden lebendig durch alte Photographien und Pro-
gramme. — Mary Wigmans ausdrucksstarke Tänze beleg-
ten viele, künstlerisch wertvolle Originalphotographien
aus dem Wigman-Archiv in Berlin und aus den Beständen
der Stiftung für die Photographie. Zwei Leben, zwei Tänze-
innen im Dienste der Vision des absoluten Tanzes, der
inneres Erleben in Harmonie von Körper, Seele und Geist
ausdrückt: das Gesamtkunstwerk, entwickelt aus dem
Körper und der tänzerischen Bewegung.
AUSSTELLUNGEN IM ERDGESCHOSS
Hermann Scherer
Holzskulbturen 1924-1926
Hermann Scherer, der mit Ernst Barlach, Wilhelm Lehm-
bruck und seinem «Lehrer» Ernst Ludwig Kirchner zu den
bedeutendsten Bildhauern des Expressionismus gezählt
werden darf, schuf in der kurzen Zeitspanne von 1924-26
eine eindrückliche Gruppe von Holzskulpturen, die sich
vor allem mit zwei Themenkreisen auseinandersetzen: der
Beziehung zwischen Mutter und Kind sowie der (eroti-
schen) Beziehung zwischen Mann und Frau.
Unsere Ausstellung, die zuerst ım Württembergischen
Kunstverein in Stuttgart gezeigt worden ist, vereinigte zum
ersten Mal alle überlieferten Holzskulpturen (bis auf ein
Werk, das sich als Dauerleihgabe im Museum Ludwig,
Köln, befindet). Eine Auswahl von grossformatigen Holz-
schnitten, die thematisch mit den teils lebensgrossen
Skulpturen eng verbunden sind, gab zusätzlich einen
Einblick in das umfangreiche druckgraphische (Euvre des
Künstlers.