nernde Behandlung, die für die frühen Arbeiten Twomb-
lys charakteristisch ist. Und auch in diesem Bereich setzt
sich Twombly innerhalb der gleichen Bildauffassung vom
Pathos der Gründergeneration ab: nicht das Wesenhaft
Absolute der Farbflächen Newmans oder Rothkos sucht
er, sondern ein haptisch Erdverhaftetes, das in seinen Ver-
läufen mehr der eigenen Materialität als der Willkür des
Malers zu gehorchen scheint und so etwas Naturwüchsi-
ges erhält. So werden diese Bilder weder wie die Farb-
flächen Newmans als plötzliches Ereignis, als sublimer
«Moment» quer zur Zeit, noch als zeitlos schwebend wie
die Stimmungsräume Rothkos erlebt, sondern als in ihrer
Materialität zeithaltige, über Vergangenheiten geschichte-
te und in die Zukunft zerfallende oder sich verwandeln-
de. Besonders die sich mehrfach überlagernden, gelösch-
ten und wieder auftauchenden Schriftzüge machen diesen
geschichtlichen und damit quasi erzählerischen Charak-
ter deutlich: der durch die Farbschleier evozierte Raum
öffnet sich in die Tiefe der Zeit - die Strukturanalogie zur
Gegenwärtigkeit von Mythen drängt sich auf.
So simpel und alltäglich also diese sensibel ver-
schmierten Oberflächen erscheinen, so komplex sind sie
in ihren Anmutungsqualitäten, deren Widersprüchlich-
keit nur in der Vieldeutigkeit der Farbe Weiss aufgehoben
werden kann“. Das bereits zitierte Statement von 1957,
kurz nach der ersten Mallarme-Lektüre verfasst, als Weiss
von New York bis Zero faszinierte, beginnt so: «The reali-
ty of whiteness may exist in the duality of sensation (as the
multiple anxiety of desire and fear).» Es ist diese siımultane
Gegenbewegung von Anziehung und Distanzierung, die
auch Giacometti in seinen Skulpturen, insbesondere im
Chariot, gestaltete, die das Weiss als Nichts und Unend-
lichkeit, als Ort der Latenz vor dem Erscheinen und Ent-
scheiden auszeichnet. Twombly vermag ihm durch mate-
rielle Verunreinigung die Körperlichkeit einer Haut geben
und trotzdem die geistige Durchsichtigkeit zu bewahren —
es ist bei den Bemerkungen zu den Skulpturen darauf
zurückzukommen.
Es bleiben die vier oder zwei Panneaux, die links des
grossen Bildes mit «Goethe in Italy» hängen und in denen
der Bewegungsimpuls, der die ganze Gruppe durchzieht,
einsetzt. Die vier Hochrechtecke gliedern sich in zwei
gleichartige Zweiergruppen: je eine kleinere, vollständig
mit tiefem Grün, Braun und etwas Weiss zugemalte
Papierarbeit, die ursprünglich mit ihrem Gegenstück ein
einziges Blatt bildete, als Auftakt und je ein grosses Lein-
wandbild, auf dem sich die Farbmaterie in gewaltigem
Furioso zu einem Berg oder einer Insel türmt. In dieser
Form wurde die Werkgruppe seit ihrer Entstehung 1978
wiederholt ausgestellt und für das Kunsthaus erworben;
die Verdoppelung des Zweierrhythmus zu Beginn, in dem
sich die Palette vom ersten zu zweiten Paar aufhellt und
reinigt, geben der ganzen Serie einen weiten, quasi musik-
dramatischen Atem®. Doch neuerdings neigt Cy Twombly
zur Ansicht, dass für die Aussage von Goethe in Italy die
zweite Gruppe genüge und die beiden anderen Teile eine
selbständige Arbeit bilden. Dieweil nun alles hier vereint
bleibt, kann man es damit halten, wie man will - ob man
der editio princeps oder der Ausgabe letzter Hand den
Vorzug gibt, ist dem Betrachter überlassen.
Jedenfalls verwirklicht hier Twombly erstmals im
Grossen, was im folgenden sein Werk bestimmen wird:
eine neue Einheit des linear Skripturalen mit der Farb-
materie. Die beiden bisher getrennten Prinzipien werden
«fusioniert», «ineinandergegossen» bis zur unlösbaren Ver-
einigung. Haben sie sich bisher mannigfaltig überlagert,
durchdrungen, sich gelegentlich sogar im Charakter
genähert, so werden sie nun eins und damit ändert sich
unvermeidlicherweise ihr Wesen. Am auffälligsten ist
zunächst, wie die mit bunter Farbe gesättigte Malmaterie
plötzlich die Leinwand überflutet; die Dringlichkeit des
Schwalls lässt die schon länger gestauten Energien dieses
Durchbruchs ahnen. Nicht mehr durchsichtig flächig als
wesenhaft dem Bildgrund zugehörig und diesen konstitu-
ierend, sondern als eigenmächtig gegenständlich erscheint
diese Woge; bezeichnenderweise bleibt über ihr die weiss
präparierte Leinwand demonstrativ völlig leer, während
sich wenigstens im zweiten Panneau ein Wolkenbruch des
Bindemittels in den unteren Teil ergiesst. Damit kommt
dieser Farbmasse ein positiver Form- und damit Zeichen-
charakter zu: ihre Gestalt und Mächtigkeit, das erdige
Braun und das primär der Vegetation zugeordnete Grün
drängen die Vorstellung von Gebirge oder Inseln auf.
Diesen Flächen eignet auch durchaus nicht mehr jenes
quasi passive und anonyme Sich-Ergeben-Haben, viel-
mehr werden sie vollständig von dem prozessualen Prin: