Volltext: Jahresbericht 2001 (2001)

werden und zugleich ein Zeugnis für sein ungewöhnli- 
ches künstlerisches U rte ilsvermö gen darste llen . Dies 
gilt am en tschie den sten für das Werk von Edgar 
De gas, eines der erste n Ölbi lder des V erehrers Ingres’, 
nach einem ungewöhnlichen Bild von dessen Lehrer 
Louis Davi d, dem Tod des J oseph Barra im Musée 
Calvet in Avignon. Die unfe rtig gebliebene D arstel- 
lung des sterbenden Knaben, mannhaftes Opfer von 
W egelagern, sollt e wie der Tote Marat einen Märtyrer 
der Revolution verherrlichen. Die zugleich sinnlich 
unmittelbare wie ve rhalten strenge Stilisierung des 
Leidens des jugendlich zarten Körpers erscheint der 
A uffassung Degas’ unheimlich kongenial. Nicht 
undenkbar, dass wir hier eine Inspirationsquelle für 
dessen bis heute rätselhaft gebliebenes letztes Histo- 
rienbild, die sog. Malheures de la Ville d’Orléans, fassen. 
Den Hauptakzent in der kleinen Wohnung an der 
W eberstrasse aber setzt en drei Gemälde von Felix 
V allotton, einem anderen melancholisch verspäte ten 
Klassiker und Bewunderer Ingres’. Aber wie sich Naef 
bei diesem auf die Bildnisse konzentrierte, sah er auch 
bei V allot ton von den kon struie rten Akten ab. Ein 
Interieur und zwei Landschaften, alle drei Extr em- 
punkte in ihrer Art, entfalten in offensichtlich beab- 
sichtigter Deutlichkeit je eine der drei räumli chen 
Dimensionen: der Blick durch das Appartement der 
Mme V allotton, auf das wir unten näher eingehen 
wollen, die Tiefe, der Felsabsturz bei Bex in einer selbst 
für die Nabis penetrant flächig en Komposition die 
Höhe und s chli esslich eine rätselhaf te, Chemin dans la 
lande genannte Lan dschaft bei Plo umanach die Breite. 
Wie Marina Ducrey beobachte te , hat V allott on diese 
Gege nd in seinem Roman Corbehaut selbst beschri e- 
ben: «Le pays se déroulait à l’infini, bossué, râpe ux et 
plein de vent; on voyait entre les petits murs secs on- 
duler les luzernes et le jeune blé.» Die gegen den Wind 
errichteten Mau ern erscheinen als tief schwarze Bän- 
der, die eben so gut Gräben sein könnten; im V e rhält- 
nis zu dem merkwürdig organ isch morasti gen Weg 
wirken sie schmal, doch die beiden winzigen Breto- 
ninnen rechts erweisen sie als bedrohlich mächtig. Die 
Reise in die Bretagne erfolgte Ende August 1917 
wenige Wochen nach dem B esuch der Schlacht felde r 
der Champagne, die V allot ton in erhö hte Spannung 
versetzten und in der düster en Stimmung und künst- 
lerischen Intensität der bretonischen Lan dschafte n 
noch nachklingen. Die Umsetzung der F rontbesichti- 
gung in Ge mälde führt e zu neuen Reflexionen über das 
V erhältnis zur Abstraktion, die sich in der Heideland- 
schaft ebe nso ni ede rschlagen wie in dem kurz dar auf in 
Honfleur entstandenen, extrem stilisierten Sonnen- 
untergang im K unsthaus. 
Frau G isela und Herr Matthias Dalvit schenkten 
dem K unsthaus aus dem N achlas s ihres Vaters Oskar 
D alvit eine repräsentative Werkgruppe von sechs 
Gemälden. Dalvit , der seinen Weg als Künstler in den 
dreissiger und vierziger Jahren suchte und dabei nicht 
von fo rmalen Positionen, sondern von spezifischen 
geistigen Anliegen und A ussagen ausgin g, ge hörte 
während Jahrzehnten zu den leisen, aber stets p räsen- 
ten Künstlern, die zwischen den modernen Richtun- 
gen vermittelten. Bereits die Nächtlich e Landschaft 
von 1938 zeigt die Kenntnis sow ohl der geometrischen 
wie der surrealistischen Abstraktion, str ebt aber p rimär 
nach einem Ausdruck für ein kosmisches A llgefühl, in 
das die Än gste und Schrecken der W eltkriegsahnungen 
eingeschrieben sind. Die Auseinandersetzung mit 
philosophischen und religiösen Strömungen, der 
Archetypen-Lehre Jungs, der Mystik Hildegards von 
Bingen, mit Dichtern wie Hesse und Ri lke, anderer- 
seits mit Klee und Kandinsky führten in den Nach- 
kriegsjahren zu dem Höhepunkt einer eigenen 
lyrischen Abstrak ti on von zauberhafter Evokations- 
kraft und schwebend intensiver Stimmung. 
Auch im Bereich der neueren und neuesten Kunst sind 
g rosszügi ge Geschenke von Einzelpersonen zu nennen. 
Herr Werner M erzbacher finanzierte ein charakteristi- 
sches Gemäld e von Bridget Riley, das in seiner subtilen 
F arbgebung eine interessante Perspektive neben der 
geometrisch-konstruktiven Kunst der Zürcher Kon- 
kreten eröffnet. Ebenfalls durft e e rstmals in der 
Ausstellung Bilderschatz eine grosse stimmungsvolle 
Photographie des Zürichsees von Bustamante gezeigt 
werden, die Herr Gustav Zumsteg schenkte. Frau 
Mireille W underly legte mit ihrem Fonds für aktu elle 6
	        
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