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Der amerikanische Künstler Matt Mullican ist 1951
in Santa Monica geboren und lebt heute in Berlin
und New York. In seinem eigenwilligen Werk bedient
er sich einer Vielzahl von Medien, er sammelt, zeich-
net, malt, baut Skulpturen, stellt Bodenreliefs her
und macht Performances und Videos. In der Schweiz
befindensichimöffentlichenRaumetwainZugund
in Rapperswil grossformatige, bunte Skulpturen von
Matt Mullican.
Zum einen ist seine Kunst angetrieben vom Ent-
werfen und Anrufen von selbst erschaffenen Ord-
nungs- und Zeichensystemen, von Kosmologien mit
ihren eigenen hermetischen Sprachelementen und
Piktogrammen, zum andern setzt Mullican seit den
1970 er Jahren immer wieder in seinem Schaffen die
Hypnose ein. Damit führt er die Selbstexperimente
der Surrealisten für unsere heutige Zeit weiter, um
so die rationale, ordnende «Tagseite» zu verlassen,
sowie die psychischen Zwischenreiche und Zustände
auszuloten und künstlerisch fruchtb ar zu machen.
Wenner in Videos zum Beispiel wieder zum fünfjähri-
genBubwird,dessenElternihnfüreinWeilchenallein
zuhause gelassen haben, überträgt sich die Qual des
wimmernden und in zwanghafte Motorik verfallenen
hypnotisierten sechzigjährigen Künstlers auch auf den
Betrachter. Und doch bleibt dieser «draussen», und
kann ihm nicht wirklich in die Seele blicken.
Das Werk, das nun E ingang in die Sammlung
des Kunsthauses gefunden hat, bes teht aus einem
Videofi lm, einer grossformatigen Pinselzeichnung
auf P apier sowie einer Frottage dieser Zeichnung auf
Leinwand. Die Arbeit «Untitled (Combination of the
Two, Tang Art Museum)» entstand 2006imTang Art
MATT MULLICAN –
ORDNUNG UND HYPNOSE
Mus eum in Saratoga Spr ings (USA, NY) im R ahmen
der Ausstellung «And Therefore I Am», in der ver-
schiedene Künstle r im Bezug auf Descartes’ «Cogi-
to ergo sum» E rfahrungen von unterschiedlichen
Bewus sts eins-Zus tänden untersuchten. Der Film
zeigt, wie Matt Mullican dort unter der Obhut des
«Hypnotherapeuten» , Dr. Clif ford Passon, ganz lang-
sam die grosse bildhafte Zeichnung mit schwarzer
FarbeundPinselaufdasPapier bringt,dabei auf die
Leiter steigt, wieder Abstand nimmt, w eitermalt, an
Formen, Schnörkeln, Za hlen, die mal aufrecht, mal
auf dem Kopf gemalt erscheinen. Der Film ist auf
einem Monitor, der auf dem Boden vor der fertigen
Zeichnung aufgeste llt ist, zu s ehen. Der Betrachter,
die Betrachteri n , kann dort in «Realzeit» das Ziehen
der Striche verfolgen, wie sie in einer Stund e und
einemViertelam6.Februar2006imTangArtMuse-
umaufsPapierkamen–jenerStriche,dieerodersie
gleichzeiti g auch auf dem fertigen Bild sieht, wo sie
nun zur Ruhe gekommen sind und sozu sagen ihrem
«Ewigkeitsa nspruc h» frönen.
ZuerstwurdedasWerkmitdemTitel«ThatPer-
sons Work: How to make something from nothing?»
gezeigt: Dies spiegelt die Vorgabe, die sich der Künst-
lerselbstfürseineArbeitinder Trance stellte. Dem
grossen blanken Papier ausgesetzt, «das seine Weisse
verteidigt», um Mallarmé zu zitieren, begann er mit
dem Nummerieren der Heftklammern, die den Bogen
aufderWandfesthielten.DieSuchenachdemSinnim
Akt des Kunstmachens führte zu demdasBild domi-
nierenden Satz «the SAME thingalways/thesame
ThING» – der Zwang und die Faszination, sein Werk immer weiterzuführen und zugleich die Gefa hr und die