Volltext: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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Er fuhr fort: Daher auch die Sage vom Doppelgänger und ähnliches Gelumpe, das man Leuten 
wie (jetzt folgten Namen wie H. H. E.., usw.) gern zum Apportieren hinwirft. Kurzum, alles spiegelt, 
alles tönt wieder, alles nimmt gegenseitig Duft von einander an: Ist es Ihnen wirklich entgangen, 
daß Haeckel, ich will nicht sagen wonach schmekt? Riecht Ostwald nicht nach v. Harnack? Duftet 
Sombart nicht leise nach Ludwig XIV.? nach Schönheit, Glück und Reichtum? Sieht Hauptmann 
nicht aus wie Goethe dividiert durchS. Fischer? Das Original offenbart sich immer nur in Reflexen, 
Echos, Nachdüften und -Geschmäcken. Und so, mein Lieber, kennen wir nur einen Tastreflex. 
Einen Spiegel des Getasts, der das verborgene Original im Hin- und Widerdruck symbolisch 
zu erkennen gibt,- nicht wahr ? 
Ich sagte: Gewiß, Herr Geheimrat! 
Ach was, Geheimrat, schimpfte er, verschonen Sie mich mit diesem Spießbürgertum. Wir werden 
uns duzen. 
Ich sagte: Du Abnossah, das mit dem Getast erkläre mir noch gründlicher! 
Ja, Wilhelm, gab er zur Antwort, paß Obacht! Es ist der Empfindende von Materie wie von 
seinem Spiegel, seinem Echo, seinem Widerspiel in jedem erdenklichen Betracht, gleichsam um 
geben wie von einer einzigen differenzierten Reflexion seiner eignen, unsinnenfälligen Projektion/ 
nicht wahr, Wilhelm? 
Tausendmal ja, mein lieber Abnossah! 
Obendrein aber noch, mein Wilhelm, ist dieser Reflex in sich gegenseitig, in sich kontrastierend, 
er betrifft den Empfindenden z. B. licht und dunkel,-warm und kalt,- männlich und weiblich,- fester 
und flüchtiger,- plus und minus,- er betrifft ihn eben mit einem Unterschied, immer wesentlich 
mit einem Unterschied!! 
Warum, Abnosserl? 
Ja, Wilhelmele, das will ich dir sagen: Der Empfindende, dieses Urwunder, dieses Allerwelts 
original ist zwar in sich identisch, simpel, absolut, einzig und allein, er ist inwendig in sich die rein 
konzentrierte bunte Fülle, die Vollwesenheit und Vollqualität aller Welt, allein er ist dieses doch 
eben lebendig, d. h. es drängt ihn, aus seiner zusammengepreßten Unermeßlichkeit, zu deren 
unterschiedener Vergegenständlichung,- und Unterschiedenheit ist gerade die Bedingung seiner 
ganzen Selbstwahrnehmung, seiner Reflexion auf sich selbst. 
Abnossah, das ist klarer als der Himmel! 
II n'y a, Wilhelm, que l'esprit qui sente l'esprit. Die meisten Menschen versagen hier. Man ist 
schon einzig damit, schon Unmensch, wenn man hier versteht. 
Abnossah, wier siezen uns wieder aus gegenseitiger Hochschätzung. 
Herr Doktor, ich bleibe Ihr wohlaffektionierter Professer Pschorr. Ohne Unterschied emp 
findet kein Empfindender, denkt kein Denkender, handelt kein Handelnder. Der Unterschied 
ist geradezu das Material des Schaffenden. Er soll also wissen, daß Differenz, und sei es die aller 
leiseste, sei es der Schatten des Schattens, immer wesentlich ein Chaos, eine gähnende, trennende 
Kluft ist, und daß er springlebendig zu sein habe, wenn er mit Unterschieden verkehren will / aber 
mit was anderm kann er nicht verkehren / he? 
Nee, Herr Professor! 
Daher also gibt es keine simple Materie, sondern Materie contra Materie, ihren Unter 
schied, ohne welchen nichts dem Wahrnehmenden erscheinen, sichtbar, in unserm Falle tast 
bar werden kann. Hören Sie? 
Ja! 
Gewissermaßen demnach ist die Welt, speziell Materie, doppelt vorhanden, und davon profitiert 
eben der Empfindende — besonders wenn er der Erfindende ist! 
Bravo! Mynona
	        
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