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AN NIOBE.
Das Geblök des blinden Stieres
Irrend im Kerker aus schwarzem Blut,
Der Harmonika regenzerfaserte Kehle,
Knirschende Beute des eignen Schemenlurchgetieres,
Totes Kind, das in hoffender Mutter noch ruht,
Winselndes Rinnsal pflanzenverstummter Seele,
Lästernder Öde wolkenzerrissenes Weh:
Schrei und Seufzer suchen dich, o Niobe.
Wo du hinblickst, Tränen wie Gebete blauen,
Deines Haares Traube spendet letzten Rausch auf schwankendem Schafott,
Wer dich liebet, weiß in wurmzerfressnem Leib noch Gott,-
Abend sät dein Lied auf sturmgeschändete Auen.
Violett säumst du die Wolkenwand der Sorge,
Wenn der Mast bricht, wärmt dein Schoß die See,-
Weihrauch, taut dein Hauch das gelbe Eis der Morgue,
O, dein Name süßt das Welken, Niobe.
Hörst du meine harten Tränen schlagen auf die dumpfen Steine?
Hörst in meines Herzens unmeßbaren Schluchten schluchzen du den Quell der Qual ?
O, so rühr 7 an meine Wimpern, daß ich samtne Früchte weine,-
Eine die Sturzbäche meiner Klage zu mondblauem Gleiten durch welliges Tal:
Dort werden Blumen wie auf Gräbern schlafen: mit weißen Augen träumende Herde,
Ich werde küssen deiner Lippen Sonnenuntergang und schwarze Erde.
Alpenrosenleuchtend, schuldlos wie ein todgetroffnes Reh,
Sehen sie in deinen Armen mich verbluten, Niobe.
Wieland Herzfelde