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Sinne, daß er nicht nur von nichts, sondern auch sogar zu nichts gezwungen wäre, ist Unsinn.
Der Schöpfer ist zur Kreatur gezwungen oder kein Schöpfer. Der freiwillige Ursprung der Welt
ist gezwungen, die Welt entspringen zu lassen. Die Freiheit vom Gesetz ist nur die Freiheit zum
Gesetz. Subjektive Welt-Identität ist nichts als die Herrin aller objektiven Unterscheidung.
Der große, geniale Mensch genügt nicht mehr. Wenn er den Menschen endgül'ig überwinden
und unter sich lassen will, ist er gezwungen, sich aus seinem Innersten zu rekreieren, die allmäch
tige Schöpferkraft in der geflissentlich errungenen Ungeteiltheit seines Willens zu entdecken und
festzuhalten. Eigne Individualität, willentlich erstrebt, beherrscht die Welt unwillkürlich. Das
»Genie« ist nur ein Vorspuk der willkürlichen Individualität, des freien Willens, der eigenen
Göttlichkeit, welche sich mit zunehmender Leichtigkeit objektiviert, automatisch vergegenständ
licht, wenn sie sich selber mit Willen subjektiviert.
Es wäre Torheit, zu wähnen, daß das »stillste Ereignis«, Allmacht als das objektive Nichts in
eigner Person, Willensungeteiltheit, Vollwille, Individualität, Herrin aller einzelnen, geteilten
Interessen, das Allerinnerste weniger bedeuten würde als Heere, Armaden, Techniken, das eitle
Geräusch der äußeren Zivilisation ohne innere Kultur. In Gegenteil, diese innerste Kultivierung
der Weltkommunion im individualen Willen würde die eigentliche Bedeutung jener Zivilisation
erst enthüllen. Das Geschöpf beschämt den Schöpfer solange, bis dieser sich selber nicht mehr ver
leugnet. Das Selbsterlebnis im Sinne des ungeteilten Vollwillens ist die Vorbedingung zur objek
tiven Allmacht. Wie die Erde nur der Trabunt der Sonne, so ist der Mensch nur der Trabant
seiner eignen innersten Individualität. Der Kopernikanismus des Menschensystems ist aber keine
Tatsache, sondern Person, Entschluß. Es herrscht immer noch ein falscher Herrscher, der mensch
liche Einzelegoismus, statt des echten, des entmenscht individualen Egoismus, der die mensch
lichen Trabanten wie von selber harmonisch um sich kreisen läßt: ehe nicht das innerste, will
kürlich ungeteilte Interesse alle geteilten geflissentlich in seinen Dienst genommen hat, werden die
geteilten einander widerstreiten, statt automatisch zu konzertieren. Aller objektive Sozialismus
ist nur die Maschine des Individuums, der innersten Sonne, des Gottes im Busen. Ohne diesen
wäre der exakte objektive Sozialismus so sinnlos wie ein mechanisches Klavier, das von der
Willkür nicht etwa nur verfertigt und als Instrument in Dienst genommen, sondern von ihr ver
lassen worden wäre. Und auch nur die innerste individuale Verfassung begabt sogar den Mecha
nismus mit durchdringendstem Leben.
In meinem Buch über Nietzsche präzisiere ich Nietzsches Bedeutung als Indifferentismus polarer
Observanz. Hier ist endlich das dionysisch individual verfaßte Subjekt nicht mehr quietistisch ver
innerlicht, sondern in einer amerikanischsten Verve weltlich nach außen gerichtet. Der Orient ist
es hier, der sich okzidentalisiert,- Afrika, welches den Norden der Kultur inspiriert,- alle effemini-
sierte Kultur verspürt wieder die Männlichkeit: und dionysische Individualität hält das gesamte
Außen zusammen... Da man diesen Schlüssel zum Erlebnis Nietzsche liegen ließ, schloß ich
damit unter dem anonymen Pseudonym Mynona ein Lachkabinett auf: mein Groteskenbuch
»Rosa die schöne Schutzmannsfrau« enthält besonders in den Grotesken »Aerosophie«, »Präsen
tismus« und »Fasching der Logik« den Indifferentismus polarer Observanz humoristisch formuliert.
Ich wollte dem Menschen auf den Zahn fühlen, den er beim Grinsen zeigt. Der Mensch ist das
gegen sein eignes Innerstes verstopfte Ohr. Er verschläft den Tubaton des Weltgerichts. Die ge
teilten Interessen treiben ihr Spiel, ohne auf das ungeteilte zu achten/ und dieses verhält sich dazu
quietistisch genug. Das mag ein paar Jahrtausende so hingehen: jetzt aber ist Nietzsche erschienen.
Es dauert nicht mehr lange, bis sich der Nebel lichtet, welcher ihn noch verhüllt und unförmlich
entstellt. Die Erde wird voll und rund von der Sonne ergriffen werden, der Mensch von unsterb
licher Individualität. Das schauerliche Interregnum des sich selber mißverstehenden göttlichen
Selbstes hört auf. Das Leben selber, das innerste Individuum, beginnt endlich, sich irdisch-mensch
lich zu äußern. Selbsteigene Göttlichkeit verweltlicht sich, anstatt zu himmeln/ und Mensch und
Erde überantworten ihre illusorische Selbstständigkeit der echten, der individualen.
Dr. 5. Triedfaender