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Daher -sein kindischer Wutausbruch in der welt
historischen Szene mit Sir Edward Goschen.
Hat Bethmann-Hollweg den Krieg gewollt? Mit
mathematischer Sicherheit ist diese Frage nicht zu
beantworten. Wir persönlich sind davon überzeugt,
daß er schuldig zu sprechen ist, zum mindesten des
„dolus eventualis“. Wenn er sich überhaupt der Trag
weite seiner Handlungsweise bewußt war, mußte er
bei seiner antislawischen Politik unausweichlich zum
Kriege gegen Rußland, aller Wahrscheinlichkeit nach
auch gegen Frankreich gelangen.
Nicht gewollt hat er den Krieg mit England. Nicht
gewollt den Krieg mit Amerika. Aber nur ein Naiv
ling konnte einen Augenblick hoffen, daß England
gegenüber dem Einfall in Belgien, Amerika ange
sichts des bestialischen Unterseebootskrieges neutral
bleiben würden.
Ob Bethmann wollte oder nicht wollte — die
Kriegspartei überhob ihn der Wahl.
Der Kant unld Nietzsche lesende kulturkonservative
Verwaltungsbeamte ist der Kanzler des Weltkrieges
geworden. Ueber Kants kategorischem Imperativ,
wie er ihn auf faßte, hat er vergessen, was Kant „zum
ewigen Frieden“ schrieb; über Nietzsches aristokrati
schen Floskeln, die er reaktionär auslegte, hat er über
sehen, was Nietzsche von (den Staatsmännern mit „der
langen Hand und dem kurzen Blick“ sagte, die „den
Nationalitätenwahnsinn zwischen die Völker legen.“
Inkonsequenz nach innen und außen, Schwanken
zwischen aristokratischen Neigungen und demokrati
schen Tastversuchen, zwischen Gewaltpolitik und Ge
wissensbissen, zwischen Reventlow und Rohrbach, zwi
schen Friedenssehnsucht und Annexionsplänen, kurz
um: vollendete Grundsatzlosigkeit charakterisiert das
öffentliche Wirken dieses Mannes, der, tadellos in
seinem Privatleben, als Politiker den schlimmsten
Uebeltätern des menschlichen Geschlechts zuzuzählen
ist.
Schon heute sind der Politik des „Philosophen von
Hoihenfmow“ der Menschenopfer weitaus mehr ge
schlachtet worden, als des Dschingiskhans Heerzüge