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persönlicher Führung Bethmanns und seiner Helfers
helfer systematisch als den Urheber und Anstifter
des ruchlosen Verbrechens gebrandmarkt hat, dessen
ungeheure Last die deutschen Machthaber allein auf
ihrem Gewissen tragen. Das deutsche WeiJ&buch
selbst — so lückenhaft und verfälscht es auch die
diplomatischen Vorgänge darstellen möge — kann
doch nicht umhin, die verschiedenen Greyschen Eini
gungsvorschläge — beginnend mit dem Konferenzvor-
schla'g und abschließend mit den letzten verzweifelten
Versuchen noch am Tage der deutsch-russischen
Kriegserklärung am 1. August — der Reihe nach auf
zuzählen. Ja selbst in der Kriegserklärung an Rußland
findet sich die Anerkennung der englischen Friedens
bemühungen in den Worten: Der deutsche Kaiser habe
„d’accord avec l’Angleterre“ eine Vermittlerrolle bei
den Kabinetten von Wien und Petersburg gespielt.
Was heute der Botschafter Lichnowsky als seine
persönliche Wahrnehmung uns enthüllt, das war da
mals, am 3. August 1914, die offizielle Darstellung des
Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. Damals, als man
noch immer schwache Hoffnungen auf Englands Neu
tralbleiben hegte, damals paßte den Herren von der
Wilhelmstraße die Wahrheit, die für sie nichts anderes
als ein Faktor in ihrem diplomatischen Rechenspiel
war. Später und heute paßt sie ihnen nicht mehr, und
deshalb muß der heutige Wahrheitssäger „gekreuzigt
und verbrannt“ werden.
Für den Verfasser dieser Zeilen ist die auch ihm erst
jetzt bekannt gewordene Denkschrift Lichnowskys keine
Ueberraschung. Als das Buch „J’accuse!“ — im Früh
jahr 1915 — erschien und — nach monatelangen Tot-
schweigungsversuehen — schließlich doch von der deut
schen Presse nicht ignoriert werden konnte, als eine
Sturzwelle verleumderischen Schmutzwassers sich aus
allen deutschen Rinnsteinen über die „Schmähschrift“
und ihren Urheber ergoß, da war es wie ein Licht
strahl in dunkler Nacht, als der Verfasser von ver
trauenswürdiger Seite erfuhr, der ehemalige deutsche
Botschafter in London, Fürst Lichnowsky, scheue sich
nicht, jedem, der es hören wolle, zu sagen: „Jedes Wort