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an ihren Ämtern kleben, verheimlichen noch immer vor den Bauern
Rußlands Befreiung vom alten Regime und hoffen auf die Reaktion.
Vorläufig so viel. Hoffe bald fortsetzen zu können. Gruß.
8. März.
Liebe Freunde, in Hinblick auf die Ereignisse, die sich in Rußland
vollzogen haben, — die Befreiung vom alten Despotismus und die neue
Ordnung der Dinge, die allen eine größere Freiheit und Freudigkeit ver
spricht, — möchte man nach Kräften daran mitwirken, daß bald wieder
„Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ sei. Die Sache
ist aber, daß das nur in dem Falle möglich ist, wenn die feindlichen
Länder, vor allem Deutschland mit seinen sozialdemokratischen Organi
sationen, den Wünschen des russischen Volkes entgegenkommen und bei
sich zu Hause tun, was das Volk mit der Gewalt hier getan hat, indem
es sie durch Volksvertreter ersetzte. Dies ist in der Geschichte der Mensch
heit die erste friedliche Revolution, und wenn es irgendwo zu blutigen
Zusammenstößen kam, geschah es nur durch die Kopflosigkeit der Behör
den, die auf die Menge und die Soldaten schießen ließ, dabei gab es die
meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung. Und auch das nur in Peters
burg. In den andern Städten ging es fast ohne jedes Blutvergießen ab.
Doch nicht davon will ich sprechen.
Gestern wurde ich durch den Besuch unseres teuren Freundes Serio-
scha Bulygin unterbrochen, der aus dem Tulaer Gefängnis zwei Tage
vor seiner Verschickung nach Sibirien befreit worden ist. Die Geschichte
seiner Befreiung und alles dessen, was er in jener Nacht des dritten März
erlebt hat, ist so interessant, rührend und geradezu märchenhaft, daß ich
ihn eindringlich gebeten habe, alles niederzuschreiben. Ich werde es Euch
dann schicken.
Zunächst aber folgendes: wie als Antwort auf meine Gedanken, die
ich Euch mitteilen wollte, brachte Serioscha seinen Aufruf an die sozial
demokratischen Arbeiterorganisationen mit. Er schrieb ihn auf Grund seiner
Gespräche mit Vertretern der Mehrheit und der Minderheit, mit denen
er zusammengekommen war, zuerst im Gefängnis, und dann, vom 3. bis
zum 8. März auf ununterbrochen Tag und Nacht währenden Meetings in
Tula, mitten unter den Arbeitern der Waffenfabriken (in Tula leben etwa
100,000 Waffenarbeiter), unter dem Eindruck ihrer Beratungen über die
wichtigsten Tagesfragen. Unter den Arbeitern spielt sich ein Parteikampf
ab, der ein für die neue Ordnung gefährliches Element in sich birgt und