der Leistung sieht, erfährt, daß Ragaz früher Pfarrer war und heute Professor
der Theologie an der Universität Zürich ist. Die Zeitschrift begann vor zwölf
Jahren als Organ der „Religiös-Sozialen“ (greuliches Wort), und sie scheint
zuerst ein Tummelplatz jener hochmütigen Pfarrers- und Theologenbande
gewesen zu sein, die jede populäre Maske anlegen, um das Volk wieder für
patentierte Kirchenkonfessionen zu gewinnen, und die sofort ihr wahres
Beamtengesicht zeigen, wenn es gilt, ernstlich die eigene, irgendwie gesagte
Überzeugung zu verwirklichen. (Übrig blieb aus dieser Zeit nur eine allzugroße
Güte im Veröffentlichen aufgeblasen dilettantischer Gedichte, deren Verse sich
nicht mit ihrer Rede identifizieren, also nicht körperlich werden, sondern nur
salbungsvolle Worte sagen.) Aber je deutlicher die moralische Krise der Welt
wurde, um so mehr schieden die falschen Freunde, die Halben, die Müden aus*
Mit dem Weltkrieg wird gerechnet. Zu Neujahr 1913 schreibt Ragaz: „Wir
stehen an einem Endel Das war einer der Eindrücke, den wir von dem
Friedenskongreß in Basel empfingen. Hier kam also dieser Eindruck vom
politischen und sozialen Leben her. Zu Ende geht jene Politik, die, umgeben
vom Glanz nationaler, ja sogar religiöser Ideale, tief in tierisches Wesen
hineinführte, die einen Haufen von Berufspolitikern Völkerschicksale machen
ließ — menschlich angesehen! — ohne daß davon die Völker etwas Rechtes
erfuhren oder dazu etwas Ernsthaftes zu sagen hatten. Diese Politik ist sicht
lich in Verwirrung geraten. Nicht nur ist sie durch den Gang der Weltereig
nisse beschämt worden, noch mehr Eindruck muß es auf sie machen, daß
die Völker anfangen, sich gegen sie aufzulehnen. Der Protest des inter
nationalen Sozialismus war nur der Ausdruck einer in der heutigen Welt
weit verbreiteten Empfindung.“ (Seither weiß Ragaz, daß Leute, die einer
weitverbreiteten Empfindung Ausdruck geben, sich im Ernstfälle um ihren Protest
nicht mehr kümmern, sondern sofort zum Ausdruck einer andern weit verbrei
teten Empfindung greifen — je nach der Verbreitung der aktuellen Empfindung.)
„Das Proletariat, indem es durch seine Bildungsarbeit die bürgerliche Welt
vollends besiegen will, kommt zuletzt bei dieser an, ja, es kommt sogar erst
dann dort an, wenn jene schon wieder weiter ist. — Ich betone stark, daß
es, heißt: Gesinnung, nicht Wissenschaft. Das war der Grundfehler der bis
herigen Arbeit, daß sie, im Schlepptau des allgemein-bürgerlichen Ideals, die
Arbeiterbildung vor allem in einer Mitteilung von Wissen suchte. Dieser
Fehler aber hing mit dem andern zusammen, daß der Sozialismus überhaupt
viel zu sehr als eine Wissenschaft verstanden wurde. Gewiß ist er mit einem
Wissen verbunden. Das Wissen soll ihm dienen, ihm den Weg bahnen zu
helfen, ihm Werkzeug und Waffe sein, aber in erster Linie und letzten Endes
ist der Sozialismus, wie schon gesagt worden ist, ein Ziel des Willens, ein
sittliches Ideal und ein sittlicher Glaube: er ist der Glaube an Recht und
Notwendigkeit einer wahrhaft menschlichen und sittlichen Ordnung, die an
Stelle der Knechtung und Ausbeutung des Menschen die gegenseitige Hilfe im
Kampf um ein volles, echtes, freies Menschentum setzt, es ist der Wille,
dieses Ziel zu verwirklichen und es ist die Gesinnung, die diesem Ziel ent
spricht und alles Tun eines rechten Sozialisten regelt. — Wir kehren also