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THEODOR DAUBLER:
ORPHEUS TOD
»Oh Freunde und Feinde!« ertönt es: »Ich bitte,
Vergebt mir die letzten entscheidenden Schritte,
Es hat sich die Glut, die ich eben verschwendet,
Unfaßbar vom Lieben zum Streiten gewendet.
Schon hör ich den Kampfruf im Walde erschallen:
Maenaden gewinnen und Jünglinge fallen.
Ich sehe wie Leiber die Felsen erklettern
Und kühne Gestalten im Tale zerschmettern.
Verzeihung, Verzeihung, Ihr holden Genossen,
Ich habe das Blut Eurer Unschuld vergossen!
Doch seht auch die Flammen der Liebe aus allen,
Als feurigen Samen, der Erde entwallen!
Bestaunt Euern glühenden Gürtel der Zucht,
Er wühlt Euers Innenlichts ruhige Wucht!
Ich fühle die Kraft, mich in allen zu fühlen,
Es können sich Seelen voll Schauer bespülen,
Wir müssen uns freudig das Erdglück versagen,
Und Wahrheit durdi mutige Taten erwägen!
Es schwellen die Fluten. Es strahlt unser Licht.
Es üben die Gluten im Menschen Gericht!
Oh seht die Tragödie, nach der ich mich sehne:
Es bildet sich rings eine riesige Szene.
Die Berge, die starr in das Wolkenmeer wuchten,
Verhüllen nun langsam auch unsere Schluchten:
Das Schicksal beginnt sich bereits zu drapieren:
Es will nicht sein tiefes Geheimnis verlieren.
Die Tragik trägt nie ihre Nacktheit zur Schau,
Ihr Bildnis erscheint uns in marmornem Grau.
Die Berge beherrschen das Drama der Täler.