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Während nämlich die Erfinder des Impressionismus
den Begriff Raum noch von Haus aus mitbekommen hatten
und durch eine Art wissenschaftlicher Beobachtung der
atmosphärischen Einflüsse auf die Färbung der Gegen
stände diesen Raum zu gestalten versuchten, war er durch
ihre Jünger, die eigentlichen Begründer des impressio
nistischen Gross-Betriebes, vollständig zu Gunsten der
.Farbe als Selbstzweck“ verloren gegangen. An Stelle des
Willens zum Gestalten trat der Geschmack. Die zum
Reüssieren durch Bildermalen erforderlichen geistigen
Qualitäten entsprachen jetz etwa denen, die einen
Handlungsgehilfen befähigen, eine Krawatte zu einem
Anzug zu stimmen. Wie in den der Mode unterworfenen
Branchen der Industrie wurde auch in der Kunst,
der Geschmack jedes Jahr etwas geändert und ein neuer
Begriff von „Qualität“ erfunden. Dieser „Qualitäts“-
begriff bezog sich wechselnd auf Form und Inhalt.
Auch das Schaffen der „gegenständlichen“ Ex.
pressionisten war bald eine Geschmacksfrage kunst
interessierter Leute geworden, nur dass diese das so
überaus langweilige Repertoire der darzustellenden
Bilderinhalte der Expressionisten erweiterten, indem sie
sich — als gebildete Leute vom Fach — an Hand ihrer
kunsthistorischen Kenntnisse rückwärts orientieren und —
sehr zeitgemäss! — in gothischen Heiligen, Negerkunst
und Mystik machten.
Der Verzicht auf diese — doch immerhin schon da
gewesenen und somit etwas uninteressanten —gegenständ
lichen Inhalte war eine Tat der abstrakten Malerei. Aber
auch das Verständnis dieser Sprache verlangt Wissen
um die „Kunst“, trotz der Anleitung ihrer Verkünder zu
naiver, willenloser Betrachtungsweise.
Den Expressionisten wurden schon die Folgen des
hochmütigen l’art pour l’art klar: man jammerte über
verlorene „Kultur“, gab dem Volke die Schuld, das
„Puppchen“ sang (statt sich selbst), man versuchte, das
Volk zur Kunst zu erziehen (wie jeder bewusste Reform
versuch zwecklos!), man versuchte eine neue Kultur
nach den durch das Studium verflossener Kulturperioden
erkannten Gesetzen zu machen. Ich glaube, dass die uns
erkennbaren Gesetze des Organismus früherer Kulturen
durchaus nicht die Grundlagen einer gegenwärtigen oder
zukünftigen Kultur sein können. Jede Kulturperiode
entsteht nach eigenen Gesetzen und Bedingungen, die
aus der Distanz von Jahrhunderten denen anderer ähnlich
sehen mögen. Wer weiss, wieviel Resultate unserer
Zivilisation schon Elemente einer neuen Kulturperiode sind,
wieviel sogenannter „Kitsch“ und „Geschmacklosigkeiten“
(die immer sehr subjektive Begriffe sind) zu einer neuen
Kultur schon gehören? Vielleicht werden diese Dinge
später ganz anders bewertet als von uns, die wir meist
rückwärtsschauen und wehmutsvoll Vergleiche anstellen.
Tatsachen lassen sich nicht wegleugnen und totschweigen,
sie sind da, auch der „Kitsch“.
Ich halte es jetzt für die Aufgabe der gegenwärtigen
Künstler, das l’art pour l’art fallen zu lassen, sich aus
den heiligen Fachkreisen herauszubegeben und das Volk,
die Gegenwart, die Tatsachen des Lebens und der Gescheh-
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nisse zu suchen. Mit den aus dem Expressionismus
erworbenen Mitteln müssen neue, interessante (!) Bilder
geschaffen werden, in deren durch den Expressionismus
gewonnenen Raume mit der Sachlichkeit der Gegenwart
erfüllte Gegenständlichkeiten hineingebaut werden, voll
ständig unbekümmert um alle sonstigen „Errungen
schaften“ und Qualitätsbegriffe des Im- und Expressionismus.
Man soll lieber „tendenziöse“ Bilder malen, als l’art
pour l’art! Bei dem Streben nach einer dem breiten
Publikum „verständlichen“ Form halte ich es für wichtig,
die Ausdrucksmittel jener Art bildlicher Darstellung nach
zuprüfen, die noch Resonanz im Volke fand, des so
genannten „Kitsches“ im Sinne der Ansichtspostkarten
und der photographisch genauen Malerei.
Ferner müssen technische Errungenschaften durchaus
benutzt werden, wie vor allem die Photographie zur
Ersparnis der Zeit und Mühe, die man früher auf das
,,Studium“ der Details verwendete.
Ich glaube, dass die eingeklebten Photo-Ausschnitte
auf dadaistischen Bildern nicht nur den beabsichtigten
Zweck des Bluffs hatten, sondern unbewusst ein Halt im
Bilde, ein ergänzendes Hilfsmittel bei der ungewohnten
sachlichen, gegenständlichen Darstellung waren.
Die alten Meister benutzten auch Hilfsmittel,
wie z. B. den Schönheitskanon, die Proportionslehre, die
perspektivische Konstruktion, die Vergrösserung durch
Quadratur.
Fast jeder von Haus aus nicht gut finanzierte junge
Künstler muss heutzutage des Geldverdienens wegen
allgemeinverständlichen „Kitsch“ unter der Hand fabri
zieren, für sein (u. evtl, „kunstinteressierter“ Kreise)
Privatbedürfnis macht er „Kunst“. In jener anspruchs
losen „Kitsch“form ist aber vielleicht ebensoviel von ihm
selbst enthalten wie in der ernst gemeinten „Kunst“form,
die eventuell mehr der Ausdruck seiner jeweiligen kunst
geschichtlichen Erkenntnisse ist. Derselbe Kontrast ist
auch im Künstler. Dieser ist vor der Staffelei ein anderer
wie auf der Strasse und im Cafd.
Diese Staffelei-Extase scheint mir der Sonntagsreiterei
im praktischen Leben zu entsprechen.
Der Künstler muss sich selbstverständlich werden,
nicht sich behorchen, betrachten und heimlich bewundern,
wenn er „Kunst“ macht. Der Künstler muss unmittelbar
schaffen, nicht durch das Mittel der Kunstgeschichte.
Letzten Endes wird bei allem Schaffen der springende
Punkt sein, dass der Maler „inwendig voller Figur ist.“
Man hat das in komplizierteren Zeiten „Vision“ oder
„inneres Gesicht“ genannt. Harmlosere Leute nannten
es auch mal „Phantasie“.
Die wahre „Phantasie“ ist der geläuterte Spiegel der
Gegenwart.
Nun wird irgend ein alter Mann vom Schlage Piloty-
Kaulbach sagen, dass bei diesem Endresultat der ganze
Expressionismus überflüssig war und auf die verkannte
Grösse seiner eignen Werke weisen. Der gute Mann
vergisst, dass jene Zeiten sich auch schon rückwärts bis