Full text: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

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Rene Sdöicfiefe ■ Ai'sse’ 
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hilfesuchend durch den Saal. Der Blick traf mich und verweilte,- ich 
kam. Richelieu stellte mich vor. Ich verließ sie nicht an diesem Abend. 
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Wochen, Monate warb ich um ihre Liebe, bis sie mich eines Tages 
fortschickte... Ich sollte sie vergessen... Und reiste acht Monate 
ins Ausland, kam zurück. Sie gab sich mir. Ich bot ihr meine Hand 
an, sie schlug sie aus und ließ mich versprechen, niemand zu sagen, 
daß ich sie habe heiraten wollen. 
Alle Frauen von Paris zusammen hatten nicht so viel Liebeskraft, 
wie Ai'sse in einer Stunde an ihren Geliebten hingab. Es war, als 
ob die Liebe der Welt in ihrem Herzen zusammenströmte. Sie war 
so voll Liebe, daß sie mich nur von weitem anzublicken brauchte: 
gleich fühlte ich in mir eine Quelle von Freude aufbrechen, die 
meinen ganzen Körper durchdrang und sogar verklärte, was um 
mich war. Ich ging in meinem eigenen Schein. In Wahrheit trug ich 
nur einen Abglanz von Ai'sse durch die Stadt. Sie aber leuchtete 
wirklich. 
Das alles wurde mir an jenem Morgen in Saint ^Sulpice klar. 
Der Priester segnete die vornehme Welt, die diskret lärmend auf 
brach und sich mit herrischen Mienen aneinander drängte, während 
sie dem Ausgang zuströmte. Die Männer streiften die Frauen, es 
wurden heimliche Händedrücke und eindeutige Blicke gewechselt, ein 
beschnalltes Knie stieß flüchtig in einen Rock. Vor der Tür wurden 
die Wagen aufgerufen. 
Und wie seltsam: auch für sie wurde dieser Morgen entscheidend. 
Sie hat mir später alles genau erzählt, deshalb kann ich Ihnen 
sagen, was sie tat, als sie nun allein war. 
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★ 
Ai'sse blieb mit ihrer Zofe in der Kirche zurück. Sie schickte das 
Mädchen in die Sakristei und ließ den Priester bitten, ihr die Beichte 
abzunehmen. 
»Ehrwürdiger Vater,« sagte sie, »Sie wissen ja, ich war ein 
Heidenkind, und als man mir von Christus erzählte, liebte ich ihn 
gleich wie meinen großen Bruder, und es fiel nicht schwer, mich zu 
bekehren. Im Gegenteil, mir war, als sei ich, seit ich lebte, in einem 
dunkeln Gang marschiert, immer geradeaus, bis in die Kapelle des
	        
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