898 Rene’ Scßicßefe • Aisse
Kiefer entblößte und zuckend über das ganze Gesiebt kroch, dessen
Häßlichkeit noch entstellend. Zugleich stieg aus ihren Augen eine
Wolke schimmernden Dunkels: Glück!
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Der Franzose rückte mit dem Stuhl näher und berührte leise
mein Knie:
»Darf ich Ihnen erzählen, wie ich Aisse kennen lernte? O, es ist
lange her, es war drüben in Frankreich, in Paris, unter der Regent*
schalt des Herzogs von Bourbon, jedoch, ich entsinne mich genau
des Morgens in Saint^Sulpice, wo mir bewußt wurde, welchen
Schatz ich, der arme, kleine Chevalier d'Aydin, in Aisse gefunden
hatte.
Ich hörte stehend die Messe an. Wenn das Rascheln eines Kleides
an mein Ohr drang, dachte ich an das Böse, das sich da rührte.
Hin Räuspern, ein Degenklirren gemahnte mich, daß ich von Raub
tieren umgeben war, die ihre Beute musterten, und, den Sprung be=
rechnend, lautlos heranschlichen. Alle lauerten unruhig hinter der zur
Schau getragenen Würde, Ihre Gedanken, unter denen sich Kleider,
Perücken, Stöcke und Degen unausgesetzt wie in einem Luftzug be*
wegten, verwandelten das Heiligtum in einen Ort der überlegten,
sorgsam vorbereiteten und dann, plötzlich, mit Peitschenhieben los**
gelassenen Laster, Saint=Sulpice war das Palais**Royal am frühen
Morgen,. , Bald vergaß ich alle, die sich um mich rührten, bis auf
eine, deren Stille anschwellend zu mir drang und mich einhüllte.
Obwohl ich damals leider nicht mehr gläubig war, folgte ich doch
der heiligen Handlung mit aufmerksamer Hingabe, Die sich stei
gernden Gebärden des Opfers reinigten auch mich, indem sie mit
ihrer, aus dem Dunkel der Geschlechter und meiner eigenen Kind**
heit wirkenden Kraft meine Sammlung vertieften. Alles, was vor
der Welt den Herrn Chevalier d'Aydin ausmachte, fiel von mir ab,
die tausend Nichtigkeiten, die sich in einem lautern Charakter fest**
setzen und an ihm zehren, starben, es blieb nur ein menschlich Herz,
das an seine Güte glaubt. Als die Klingel rief und der Priester
über der in die Knie gesunkenen Gemeinde die Hostie hob, emp**
fand ich diesen Augenblick als den beglückenden Höhepunkt meines
Zwiegesprächs mit dem Ewigen.