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bleme gewiß, aber sie müssen delikat behandelt werden, sodaß sie
an die Nerven greifen — aber unverbindlich, zu nichts verpflichtend.
Im Maße wie die Klassengegensätze sich verschärften, wurde
die offizielle Kunst der Bourgeoisie wirklichkeitsfremder und -feind
licher, aristokratischer, unverständlicher. Es wäre indessen falsch
und ungerecht anzunehmen, die Künstler haben sich bewußt und
zynisch auf Seiten der Bourgeoisie gestellt, weil sie die Macht hat,
sich etwa mit Berechnung prostituiert. Es scheint vielmehr, daß
ein großer Teil der „Anerkannten“ sich zunächst ehrlich und zäh
mit den Problemen herumschlugen, die in ihren Gesichtskreis
traten. Aber der Künstler stößt weniger auf Probleme als diese
auf ihn; das schlimmste dabei ist, daß er dies fast nie zugeben will.
Wie sich auf eine Frau die Ideologie ihres Mannes überträgt, so
auf den Künstler in der Regel die der „Oeffentlichkeit“.
Die Oeffentlichkeit ist das Angesicht der herrschenden Klasse.
Sie muß dafür sorgen, daß auf dieser Welt alles in Ordnung er
scheint, sie kann nicht dulden, daß die Ruhe gestört wird. Die
Welt darf kompliziert dargestellt werden, das hebt das Selbstbe-
wußtsein derjenigen, die sie lenken, relativ darf sie bewertet werden,
denn das befreit von Verantwortung, raubt jeder Bewertung und
Kontrolle des Weltgeschehens den Stachel. Demgemäß ist es
keineswegs verwunderlich, daß die Kunstentwicklung der letzten
Jahrzehnte alles andere anstrebte, als die Vermittlung eines klaren,
scharf umrissenen Weltbildes an breite Massen oder auch nur an
die Bevorzugten, die sich mit ihr befaßten. Der Schluß liegt nahe,
daß die im allgemeinen recht nüchterne und unproblematische
Großbourgeoisie, die verworrene, weltfremde und entnervende
Tendenz der modernen Kunst nach anfänglichem Sträuben duldete,
ja sogar unterstützte und züchtete als eine Art Selbstschutz vor
der entwickelten Intelligenz der eigenen Nachkommenschaft, die
unter dem Einfluß einer starken und klaren Ideenwelt nur zu leicht
den Widersinn des Systems der Väter hätte durchschauen können.
Mit den Klassikern allein ließ sich das nicht machen. Die ärmeren
Schichten konnte man damit abfinden. Sie lebten ja in einer Welt,
deren Reiz sowieso in Vergangenheit oder Zukunft lag. Dagegen
die Jugend, welcher auf materiellem Gebiet nichts abging, ließ sich
nicht mit den geschichtlichen Themata abspeisen, sie verlangte
natürlicherweise auch den geistigen Extrakt der Gegenwart. In
Rußland ward dies Verlangen in zahllosen Fällen das Verhängnis
der älteren Generationen, denn dort existierte nicht, wie bei uns,
eine Kunst, welche vom sozialen und geschichtlichen Geschehen
isoliert.
Die Frage taucht auf: Wie erklärt es sich, wie war es möglich,
daß in Deutschland und auch in den westlichen Ländern im Gegen-