Volltext: Der Ararat (1 (1920), 8)

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die Künstler mit größter Reinheit die wesent*? 
liehe Wirklichkeit hatten wiedergehen wollen, 
sprach er das eigenartige Wort „Kubismus" 
aus, das so rasch seinen Weg machen sollte. 
Die jungen Maler nahmen dieses Wort auf, 
weil der Künstler, wenn er die begriffliche 
Wirklichkeit wiedergibt, alle drei Dimensionen 
geben kann. Er könnte es nicht, wenn er bloß 
das wirklich Gesehene wiedergäbe, es sei denn, 
er täuschte das Auge durch Verkürzung und 
Perspektive, was die Eigenschaft der begriff 
lichen Form entstellen würde. 
Bald zeigten sich neue Strömungen im Schoße 
des Kubismus. Picabia brach mit der begriff* 
liehen Formel, und zugleich mit Marcel Duchamp 
pflegte er eine Kunst ohne jede Regel. Ander- 
. seits erfand Delaunay insgeheim die Kunst der 
reinen Farbe. So geht es auf eine gänzlich 
neue Kunst zu, die zur Malerei stehen wird, 
wie man bisher den Standpunkt der Musik 
zur Poesie beurteilt hatte. Es wird reine 
Malerei sein. Man mag über einen so kühnen 
Versuch denken wie man will, aber man muß 
vor so aufrichtigen Künstlern aufrichtige Ach= 
tung haben. 
(Übertragen aus dem Französischen von Hans Jacob.) 
Anmerkung der Redaktion: Nach G. Apollinaire 
hätte also Matisse zuerst das Wort „Kubismus" geprägt. 
Es gibt noch eine andere Version der Entstehungsgeschichte 
dieses Terminus, die Leonce Rosenberg überliefert hat: 
„Der Ursprung des Wortes »Kubismus« geht auf das 
Jahr 1908 zurück,- es wurde zum erstenmal ausgesprochen 
bei der Jury des »Salons der Unabhängigen in dem Mo= 
ment, wo ein Bild von Georges Braque gezeigt wurde. 
Ein Mitglied der Jury rief aus: »Schon wieder Kuben! 
Genug des Kubismus!« Dieses Wort, von einem Jour= 
nalisten aufgegriffen, machte sein Glück und seinen Weg 
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durch die Welt/ es wurde weiter verbreitet durch Guill- 
aume Apollinaire und wie man sagt, durch den Maler 
Henri Matisse. Aber man kennt nicht den Schöpfer des 
Wortes. Tatsache ist, daß die Ausdrucksform, die man 
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kubistisch nennt, 1906—7 in Erscheinung trat, repräsentiert 
durch Gemälde Georges Braques mit ausgesprochen ce~ 
zannistischem Einfluß und durch Bilder Pablo Picassos, die 
deutlich den Einfluß der Negerkunst verrieten." 
Die Dichter gegen den Krieg. 
„Les poetes contre la guerre" heißt eine 
Anthologie französischer Gedichte aus den 
Kriegsjahren 1914—1919, die soeben in Genf 
<Editions du Sablier 1920) erschienen ist. Romain 
Rolland leitet sie ein: „Brüder der Welt, hier 
findet ihr, was die Elite des französischen Schrift 
tums gedacht, was sie gelitten in diesen Jahren 
der Knechtschaft, wo einige Rhetoren des Par 
laments und der Akademie im Namen Franko 
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reichs zu sprechen wagten und ihm ihren Geist 
eines armseligen Ruhms und ihre Unmensch*? 
lichkeit zuschrieben." 
Tröstlich ist es, die Stimmen dieser Dichter 
zu hören, vor denen die würdevollen Doktoren, 
die diplomierten, besternten, ihre Compatrioten 
zu warnen nicht nachließen: „N'ecoutez pas 
ces läches!" Sehr verächtlich sprechen die Dok 
toren Frankreichs und Deutschlands von den 
„Dichtern gegen den Krieg": 
„Ce sont des inconnus. 
OueCgues Caches reveurs, des nai'fs, des 
compdces, 
ICs ne sont rien. 
Ceux gui comptent, ce sont Ces autres 
Ceux Cä — Bas precBant comme nous." 
„Inconnus, oui inconnus," 
ruft Marcell Martinet aus, der in einer 
wunderbaren Ode zu den „Dichtern Deutsch^ 
lands, den unbekannten Brüdern" spricht. 
„ Pous^ C’et es, nous Ces sommes, 
IC convient en ces jours maudits 
Que nous sopons Ces inconnus, 
Reprouves du monde present, 
Re'prouves par sa Boue sangCante, 
Meme inconnus Ces uns des autres, 
Qu’importe? Nous nous trouverons 
Wenn auch der Haß die Lebenden noch trennt: 
die Toten sind Brüder: 
„Car sous Ca terre iC n’y a pCus 
Quune patrie et gu’un espoir 
Comme iC n’y a pour C’llnivers 
Qu’un com Bat et gu’une victoire." 
Und der Schmerz über die Toten schlingt ein 
gemeinsames Band um die Lebenden: 
„Le vent fait flotter 
Du meine cote 
Les voiCes des veuves. 
Et Ces pCeurs meCes 
Des miCCe douCeurs 
Pont au meme fleuve."
	        
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