71
die Künstler mit größter Reinheit die wesent*?
liehe Wirklichkeit hatten wiedergehen wollen,
sprach er das eigenartige Wort „Kubismus"
aus, das so rasch seinen Weg machen sollte.
Die jungen Maler nahmen dieses Wort auf,
weil der Künstler, wenn er die begriffliche
Wirklichkeit wiedergibt, alle drei Dimensionen
geben kann. Er könnte es nicht, wenn er bloß
das wirklich Gesehene wiedergäbe, es sei denn,
er täuschte das Auge durch Verkürzung und
Perspektive, was die Eigenschaft der begriff
lichen Form entstellen würde.
Bald zeigten sich neue Strömungen im Schoße
des Kubismus. Picabia brach mit der begriff*
liehen Formel, und zugleich mit Marcel Duchamp
pflegte er eine Kunst ohne jede Regel. Ander-
. seits erfand Delaunay insgeheim die Kunst der
reinen Farbe. So geht es auf eine gänzlich
neue Kunst zu, die zur Malerei stehen wird,
wie man bisher den Standpunkt der Musik
zur Poesie beurteilt hatte. Es wird reine
Malerei sein. Man mag über einen so kühnen
Versuch denken wie man will, aber man muß
vor so aufrichtigen Künstlern aufrichtige Ach=
tung haben.
(Übertragen aus dem Französischen von Hans Jacob.)
Anmerkung der Redaktion: Nach G. Apollinaire
hätte also Matisse zuerst das Wort „Kubismus" geprägt.
Es gibt noch eine andere Version der Entstehungsgeschichte
dieses Terminus, die Leonce Rosenberg überliefert hat:
„Der Ursprung des Wortes »Kubismus« geht auf das
Jahr 1908 zurück,- es wurde zum erstenmal ausgesprochen
bei der Jury des »Salons der Unabhängigen in dem Mo=
ment, wo ein Bild von Georges Braque gezeigt wurde.
Ein Mitglied der Jury rief aus: »Schon wieder Kuben!
Genug des Kubismus!« Dieses Wort, von einem Jour=
nalisten aufgegriffen, machte sein Glück und seinen Weg
• * ' *•“ •* 4 + • m t 9 • •
durch die Welt/ es wurde weiter verbreitet durch Guill-
aume Apollinaire und wie man sagt, durch den Maler
Henri Matisse. Aber man kennt nicht den Schöpfer des
Wortes. Tatsache ist, daß die Ausdrucksform, die man
C I V » 9
kubistisch nennt, 1906—7 in Erscheinung trat, repräsentiert
durch Gemälde Georges Braques mit ausgesprochen ce~
zannistischem Einfluß und durch Bilder Pablo Picassos, die
deutlich den Einfluß der Negerkunst verrieten."
Die Dichter gegen den Krieg.
„Les poetes contre la guerre" heißt eine
Anthologie französischer Gedichte aus den
Kriegsjahren 1914—1919, die soeben in Genf
<Editions du Sablier 1920) erschienen ist. Romain
Rolland leitet sie ein: „Brüder der Welt, hier
findet ihr, was die Elite des französischen Schrift
tums gedacht, was sie gelitten in diesen Jahren
der Knechtschaft, wo einige Rhetoren des Par
laments und der Akademie im Namen Franko
• * ’ ■ * Fj ' J I | + • S %
reichs zu sprechen wagten und ihm ihren Geist
eines armseligen Ruhms und ihre Unmensch*?
lichkeit zuschrieben."
Tröstlich ist es, die Stimmen dieser Dichter
zu hören, vor denen die würdevollen Doktoren,
die diplomierten, besternten, ihre Compatrioten
zu warnen nicht nachließen: „N'ecoutez pas
ces läches!" Sehr verächtlich sprechen die Dok
toren Frankreichs und Deutschlands von den
„Dichtern gegen den Krieg":
„Ce sont des inconnus.
OueCgues Caches reveurs, des nai'fs, des
compdces,
ICs ne sont rien.
Ceux gui comptent, ce sont Ces autres
Ceux Cä — Bas precBant comme nous."
„Inconnus, oui inconnus,"
ruft Marcell Martinet aus, der in einer
wunderbaren Ode zu den „Dichtern Deutsch^
lands, den unbekannten Brüdern" spricht.
„ Pous^ C’et es, nous Ces sommes,
IC convient en ces jours maudits
Que nous sopons Ces inconnus,
Reprouves du monde present,
Re'prouves par sa Boue sangCante,
Meme inconnus Ces uns des autres,
Qu’importe? Nous nous trouverons
Wenn auch der Haß die Lebenden noch trennt:
die Toten sind Brüder:
„Car sous Ca terre iC n’y a pCus
Quune patrie et gu’un espoir
Comme iC n’y a pour C’llnivers
Qu’un com Bat et gu’une victoire."
Und der Schmerz über die Toten schlingt ein
gemeinsames Band um die Lebenden:
„Le vent fait flotter
Du meine cote
Les voiCes des veuves.
Et Ces pCeurs meCes
Des miCCe douCeurs
Pont au meme fleuve."