Jahresbericht 1946 der Zürcher Kunstgesellschaft
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Seit 1913 besitzt die Kunsthalle Hamburg unter der Inventarnummer 1562 eine Grotte
der Loue mit der Jahrzahl [18]64 und den stattlichen Dimensionen von 130,5 cm X 98 cm,
unsere Tafel IXa, nach Meier-Graefe «Courbet», 1924, Taf. 79. Andere Grotten und
Quellen der Loue zitiert und reproduziert Riat; so auf S.85 eine im Bildausschnitt der
Hamburger Fassung entsprechende, die er im Register «um 1850» ansetzt, unsere Tafel VIIIb;
auf S. 331 als Spätwerk (nach 1872?) eine Grotte der Loue mit Angler, unsere Tafel IXb;
auf S. 97 eine Quelle der Loue in einer Ansicht aus größerer Distanz, unsere Tafel VIIIa.
Für die zeitliche und künstlerische Einreihung des für das Kunsthaus neu erworbenen Bildes,
unsere Tafel VII, stehen heute außer diesem die Originale nicht zur Verfügung. Wie weit die
kleinen Reproduktionen zweiter Hand die ganze malerische Struktur und die und jene
Bildteile verstellen, läßt sich nicht ermessen. Eine Lösung ist aber vielleicht von rein
gegenständlichen, hier wasserbautechnischen, Elementen aus möglich.
Im Bild VIIIb «um 1850» strömt das Wasser frei über und zwischen Felsblöcken aus
einer hohen Oeffnung. In VIIIa ist der Fluß gestaut, das Maul der Quelle verkleinert, quer
unter dem flacher gewordenen Bogen eine Schwelle mit breitem Ueberlauf, im Bildteil
links vom Beschauer aus sind Aufmauerung und Oberkante einer Wasserfassung sichtbar.
IXa, von 1864, und IXb, als Spätwerk, zeigen die Holzpfähle des Kanalüberlaufes links;
im übrigen die Grotte hoch, ihre Pfeiler und das Gewölbe seitlich und oben im Ausschnitt
und im Aufbau wie bei VIIIb; das Wasser, außer auf der linken Seite, wie dort frei über
Steine fließend.
Wer durch die Spiegelung im ruhigen Stau des Zürcher Bildes sich nicht täuschen läßt,
wird hier die Grotte unter dem gleichen flachen Bogen erkennen, wie er in VIIIa über das
weiß verbrämte Wehr sich spannt. Das Wehr findet sich im Zürcher Bild mehr von der
Seite, aus der Nähe, und von oben gesehen, 80 auch Fassung, Einlauf und Ueberlaufschleuse
zu dem Kanal, von dem VIIIa den Ueberlauf und den Mauerzug zeigt. Das Zürcher Bild
von 1863 und VIIIa geben den gleichen Zustand von Fluß und Menschenwerk und sind wohl
gleichzeitig.
Ihnen gegenüber schließen VIIIb und IXa und b sich zusammen. Courbet sieht das
Großartige der höher sich wölbenden Grotte. Der Eindruck, wie er im frühesten Bild VIIIb
ihn festgehalten hat, wird ihm nun unverlierbarer Begriff. So wählt er noch einmal 1864
den fast genau gleichen Blickpunkt und Ausschnitt wie mehr als zehn Jahre vorher, nimmt
den damals nicht vorhandenen Schleusenkopf als Repoussoir links in das Bild, läßt aber
das 1863 vorhandene Wehr weg — wenn es nicht auch in Wirklichkeit wieder entfernt
worden ist — mit Uebernahme oder Nachahmung des Flußbettes von VIIIb. Das Spätbild
IXb scheint im Atelier aus Reminiszenzen aufgebaut worden zu sein, mit der im Verhältnis
zu den tatsächlichen Proportionen der Grotte zu kleinen, hellen Figur des Anglers und
einer weiteren Vereinfachung und Steigerung der Kulisse gegen das Pathos hin.
Wenn VIIIa und das Zürcher Bild damit noch näher zusammenrücken, 8o stellen sie in
der Unmittelbarkeit und Rauheit der Handschrift eine direkte Antwort des Künstlers auf
den Anruf der Heimat dar, während IXa und b die Theorien und Ueberlegungen des Ateliers
im Antlitz tragen.