«Kubismus war eine Schule der Malerei, Futurismus
eine politische Bewegung; Dada ist eine Geistes-
haltung. Eine gegen die andere auszuspielen verrät
Unkenntnis oder Unwahrhaftigkeit. Religiöses
Freidenkertum hat keine Ähnlichkeit mit einer Kirche.
Dada ist künstlerisches Freidenkertum).
Dennoch lässt sich aus der Distanz von gut sechzig
Jahren nachweisen, dass die Dada-Künstler von den
unmittelbar vorangegangenen stilistischen Erfah-
rungen nicht unbeeinflusst geblieben sind. Diese
Feststellung trifft insbesondere in bezug auf die
Zürcher Gruppe zu.
Bei der Gründung des Cabarets Voltaire, des Tum-
melplatzes verrückter Emotionen)», wie sich Hugo Ball
geäussert hat, standen literarische und musikalische
Veranstaltungen im Vordergrund. Mit der 1917 von
Hugo Ball und Tristan Tzara eröffneten Galerie Dada
in den Räumen der Galerie Coray an der Bahnhof-
strasse 19 verlagerte sich das Interesse zugunsten
der bildenden Kunst. Die ersten zwei Ausstellungen
galten dem Expressionismus, vor allem Kandinsky
und Klee, während die Maler der «Brücke» als zu
deutsch empfunden wurden. Man war darauf
bedacht, abstrakte Kunst auszustellen, die als einzig
wahrhaft internationale, moderne Malerei galt.
Trotz der Reserve dem Expressionismus gegenüber
bleibt festzustellen, dass insbesonders Hans Richters
damalige Bilder und Zeichnungen weitgehend von
dieser Stilrichtung geprägt waren, während Marcel
Jancos Gipsreliefs die Formensprache des Kubismus
weiterentwickelten. Als zwischen den beiden Stil-
richtungen liegend, sind die Gemälde um 1917 von
Christian Schad anzusprechen. Zweifellos war
neben Sophie Taeuber, die mit ihrem Schaffen,
Nicht zuletzt mit Triptychon»; das vor langen Jahren
als Schenkung von Hans Arp Eingang in unsere
Sammlung gefunden hat, den Grundstein zur Ent-
wicklung der geometrischen Kunst in der Schweiz
gelegt hat, Hans Arp die herausragende Figur der
Zürcher Gruppe, der in jenen Jahren mit seinen
Reliefs, Collagen, Tuschzeichnungen jene vieldeutig
biomorphen Formen entwickelt hat, die nicht mehr
Gegenstände im eigentlichen Sinne beschreiben,
sondern viel mehr Assoziationen an bio-, zoo- und
antropomorphe Formen auslösen. Damit versuchte
Arp, den inneren Gehalt hinter der Oberfläche der
Dinge zu erforschen, seine Liebe zur Poesie in die
bildende Kunst zu übertragen.
Gegenüber der Zürcher Gruppe war die Protesthal-
tung der New Yorker radikaler; man denke an
Duchamps Verweigerungsgeste der Malerei gegen-
über, an Picabias Maschinenbilder sowie seine aus
zufälligen Materialien komponierten Collagebilder,
aber auch vor allem an Man Rays Photogramme, die
durch direkte, kameralose Belichtung von Photo-
papileren entstanden sind.
Die Berliner Kundgebungen übertrafen die Zürcher
mit ihrem sozialkritischen Engagement; Dada Berlin
war der Versuch, die Hoffnung auf eine Übertragung
der Kunst ins Leben mit revolutionär-politischen
Mitteln zu realisieren. Die Dada-Orte Köln und Han-
nover waren Im Gegensatz zu Berlin nicht von einerr
entschlossenen Kollektivismus geprägt, sondern im
Wesentlichen geformt durch das Wirken von zwei
herausragenden Künstlern, von Max Ernst und Kurt
Schwitters, In Paris schliesslich wandte sich der
Dadaismus unter dem Einfluss von Tristan Tzara ver
mehrt wieder literarischen Bereichen zu, bevor sich
die Gruppe durch den aufkommenden Surrealismus
auflöste; im surrealistischen Manifest von Andre
Breton hat dieser ein Credo entwickelt, was dem
dadaistischen Geist widersprach.
Alle diese in sich unterschiedlichen und zum Teil
widersprechenden Auffassungen darzustellen, ist Ziel
der Zürcher Dada-Sammlung. Besonders ausführlich
vertreten ist das Wirken der Zürcher Gruppe, deren
Hervorbringungen im Gebiet der bildenden Kunst
am zahlreichsten waren. Das bis heute Erreichte dar
nicht als ein für allemal abgeschlossenes Ganzes
betrachtet werden, sondern als ein ausbaufähiger
Kern, denn nach wie vor sind in unserer Sammlung
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