189
Uns fern haltend von den leichenfleddernden Wöl
fen, ohne einzustimmen in die Elegien der Klage
weiber, wollen wir nur ein paar Daten, ein paar Tat
sachen geben.
Bethmann-Hollweg begann genannt zu werden, als
er Landrat von Teltow-Beeskow und freikonservativer
Landtagsabgeordneter war. Er galt damals schon als
Typus des Frei- und Kulturkonservativen. Das heißt,
er vertrat die Junkerpolitik einschließlich des Aus
nahmegesetzes gegen die Sozialdemokratie. Aber er
servierte den soliden, wenn auch mißduftenden reak-.
tionären Kohl in moderner Garnierung, das heißt ver
ziert mit eiweichen verstandenen oder auch nicht ver
standenen Lesefrüchten aus Kant und Nietzsche. (Sel
tener aus Goethe und Uhland. Gereimte Zitate über
lies er durchweg Bernhard Bülow.)
Er — Bethmann nämlich — wurde dann Ober
präsident der Mark Brandenburg. Er waltete ehrbar
und anständig seines Amtes. In der in Preußen üb
lichen Unterdrückung Mißliebiger überschritt er nie
mals die Grenzen, jenseits deren die reohtsnational-
liberale Mißbilligung anfängt.
Er wurde dann preußischer Minister des Innern.
Er debütierte mit einer Rede über Nietzsche und das
Wahlrecht. Die Junker verstanden zwar nicht die
Partien über Nietzsche, wohl aber die über das Wahl
recht, die von der Verwerflichkeit der Demokratie
handelten. Um diesen Preis verziehen sie sogar • die
an sich verdächtige Beschäftigung mit „Gehirn-
fatzken“. Die bescheidenen Liberalen, besonders das
Herz der alternden, damals noch nicht ullsteinisch
aufgeschminkten Tante Voß *) gewann Bethmann-Holl
weg durch eine zweite Beide, die von Sittlichkeitsfragen
handelte und das freimütige Bekenntnis enthielt, daß
er nicht mehr an den Klapperstorch glaube . . .
Dann wurde Bethmann-Hollweg an Posadowskys
Stelle Staatssekretär des Reichsamts des Innern. In
dieser seiner Stellung gelang es ihm, unter Abgabe
nachher nicht gehaltener Versprechungen, vom Reichs
*) Pie im Ullstein-Verlag erscheinende „Vossische ZeitUDg“.