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igi4 herrschen darf. Aber die Worte Franz Pfemferts erschienen buchstäblich
so, wie man sie hier oben entsetzten Auges las, in seiner Zeitschrift „Die Aktion“
am 50. Oktober 1912. Das war weit geblickt! Und darum spricht das Zeit-Echo
immer wieder für die „Aktion“: Weil sie die einzige deutsche Zeitschrift war,
die seit jener Zeit nicht eine opportunistische Zweiteilung in geistige und in
Schützengrabenmotive unternahm. Sondern weil sie, bewussten Willens, unnach
giebig gegen bedrängende Kriegsmächte, eine Arche war, in der die Geistigen der
Gegenwart ihre Kunst und ihr Denken in eine neue Epoche hinüberretten konnten.
Cfaire Sfuder:
DIE STUNDE DER FRAUEN
In allen Ländern setzte einmal — sehr schwach — eine Bewegung ein,
die den Geist der Frau und ihr Menschentum entwickeln sollte. Der Hohn
jeder Geistesbewegung, der Krieg, brachte sie zum Stillstand.
In allen Ländern warten wieder (bewußt und unbewußt), sehnender
denn je, Frauen, die durch den Schmerz gewachsen sind, auf das Wunder,
auf die Befreiung. Als ob die Befreiung von außen kommen könnte und
nicht eine innere Revolution zur Voraussetzung haben müßte; denn man
muß auch zur Freiheit reif sein. Der schmachvolle Zusammenbruch der
von Männern geführten Völker müßte uns endlich lehren, die Welt unter
einem andern Gesichtswinkel als dem männlichen zu sehen. Aus diesem
Krieg müßten wir ewigen, zur Passivität verdammten Minderjährigen hinein
wachsen in unsere Erdball-Aufgabe: der Mitarbeit an der Vergeistigung
und Verbrüderung aller Menschen, müßten erkennen, daß eine Freiheit in
einem noch ganz unbekannten Sinn und damit eine ungeheure Verantwortung
an der Höherentwicklung der Menschheit unsrer wartet.
Wir Mitschuldigen an dem europäischen Zusammenbruch, die wir niemals
verstanden haben, etwas aus unsrer größten Macht zu tun, der Liebe, der wir
alles, was wir sind, verdanken. (Wir konnten nicht einmal den Mann weicher
machen, um I9l 4 abzuwenden.) Wir Talentlosen, wir kleinen Statistinnen,
die wir nie mitspielen durften auf der Bühne der Welt! Wann werden wir
endlich nicht mehr Chor sein, der klagt, sondern einzeln auftreten im Leben?