Full text: Die Flucht aus der Zeit

Die Kulisse. 
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Sie vergleichen die Forderungen der sozialen Revolution mit 
den Einrichtungen der byzantinischen Orthodoxie. 
Soweit sie rebellieren, berufen sie sich auf das Neue Testament. 
Sie betrachten es als ein revolutionäres Buch. Gegen den Vater 
erhebt sich der Sohn. 
Sie fassen Christus als Nihilisten auf. Als Sohn, als Rebell, 
muß er Antithesen setzen. 
Ihr Konflikt mit der Orthodoxie erinnert an gewisse Erschei 
nungen des 16. Jahrhunderts, Münzer z. B., mit dem Unter 
schied, daß die Reformation die Menschheit Christi als Autorität 
verkündete, während die Russen die Gottheit Christi im Volke 
sehen, gekreuzigt von einer autoritären Institution. 
Stellenweise (so bei Tschaadajew, bei Dostojewsky, Solovjew, 
Rosanow) tritt der Versuch einer neuen Interpretation der Dogmen 
auf. Die meisten dieser Rebellen sind eigentlich ketzerische 
Kirchenlehrer. 
* 
Die Position Mereschkowskys und seiner Freunde ist spitz 
findig und gewiß auch nicht populär. Es ist fraglich, ob ihr Ge 
danke breiten Kreisen plausibel zu machen ist. Ja es ist die Frage, 
ob eine ,theologische Revolution* nicht ein Widerspruch in sich 
selber ist. Das letzte Wort am Kreuze heißt: ,Vater, in deine 
Hände empfehle ich meinen Geist.* 
Immerhin: das Verhältnis Vater—Sohn ist hier mächtig heraus 
gearbeitet und produktiv. Im Westen ist keine Produktivität mehr 
möglich, ehe Glaubenskämpfe und letztliche Bedenken wieder 
aufleben. 
Der große Unterschied: dort ist der Zar seit hundert Jahren 
das apokalyptische Tier. Hier gilt das Volk dafür und wird auch 
so behandelt.
	        
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