Volltext: Jahresbericht 1988 (1988)

zen der Kunst-Funktion und Modellhaftigkeit interessiert 
haben. Ralf Winkler drängte es, von Schilderungen ihn 
umgebender Alltagssituationen —die vor allem Gegenstand 
der bildnerischen Formulierungen eines engen Freundes- 
kreises um seinen «Lehrer» Jürgen Boettcher gewesen 
waren und sich bewusst vom Menschenbild des doktri- 
nären «Sozialistischen Realismus» abgesetzt hatten — zu 
einer eigenen Spielart von «Realismus» vorzustossen; zu 
Bildern, die allgemeine Probleme in Systembezügen zu 
objektivieren trachteten. «Für mich war es ein Problem», 
hat Penck über zwanzig Jahre später festgestellt, «Sachen zu 
machen, die in Kontrast stehn zu dem Raum, in dem ich 
war, dem Atelierraum... Das sollten Dinge werden, 
Signale, die sich aus dem Raum, aus dem sie kommen, eben 
ıbheben.»! Die «Mittel» dazu waren zum einen Abstraktion 
von der figürlich gebundenen, genrehaften Schilderung 
weg — und zum anderen Reduktion auf elementare Bild- 
zeichen und zurückgenommene Farbigkeit. Einen dritten 
Faktor, den Penck anführte, die Logzk, die er in die Bild- 
findung einzubringen gedachte, resultierte aus seiner 
Auseinandersetzung mit Kunsttheorie und Kybernetik, mit 
abstrakten Modellen: die Welt musste analysiert und in- 
terpretiert werden als «System von Haltungsbezügen»“; 
als Zeichenfügungen, die die Realität klären sollten. 
Am Anfang einer Reihe von nunmehr entwickelten 
«System-» und «Weltbildern» mit ihren Kompositionen aus 
Strichmännchen steht das erste Weltbild, das noch im 
Herbst des Jahres 1961 entstanden ist, gemalt unmittelbar 
anter dem Eindruck des Mauerbaus. Wie das im folgenden 
{ahr entstandene (zerstörte) Wandbild Gereiltes Deutschland 
thematisiert das Welzbild ein Aufeinandertreffen zweier 
Systeme durch deren aufs äusserste reduzierte Hand- 
lungsträger, wobei die Konfrontation im vorliegenden 
Gemälde ganz allgemein als West-Ost-Konflikt gelesen 
werden kann. Dass die solcherart beschworene kämpfe- 
tische Handlung als globales Ereignis verstanden sein will, 
deutet bereits die sich über dem unteren Bildrand wöl- 
bende Kalotte der Erdkugel an, die als einziges Bild- 
element von einer starken, rotbraunen Farbigkeit gekenn- 
zeichnet ist. Auf diesem flammend gemalten Untergrund 
erheben sich in unterschiedlichen Formationen die 
«Systeme» der agierenden Strichmännchen, die sich — 
mehr gezeichnet als gemalt — von einer weissen Fläche 
abheben, einem mehr oder weniger monochromen Hinter 
grund, der durch die graffiti-artigen Lineamente wie auf- 
gewühlt erscheint. Obwohl Penck sich auch später einer 
Interpretation seiner eigenen Werke stets widersetzt hat. 
kann das erste Weltbild (ebenso wie die in den darauffol- 
genden Jahren entstandenen weiteren «Weltbilder») wie 
eine Landkarte «gelesen» werden: Die Mauer ist gebaut 
(wenngleich sie im Bild selbst nicht erscheint, wohl um die 
Aussage allgemeingültig zu fassen) und teilt das Bild in 
zwei Hälften, wobei die rechte als der «Osten», die linke 
als der «Westen» gesehen werden darf. Die Menschen im 
Osten scheinen einen abwehrenden Schild über sich zu 
halten, der mit verschiedenen, gegen Westen gerichteten 
Waffen- und Abwehrsystemen bestückt ist; ım Westen 
ist, durch einen hierarchischen Aufbau strukturiert, eine 
Rampe entstanden, die ihrerseits gegen Osten zielende 
Waffenarsenale trägt. Überdeutlich bedroht eine mittlere 
Figur, die im Westen auf erhöhter Ebene plaziert ist, auf 
einer Art «Produktionsmaschinerie» anscheinend, Men- 
schen, die eben diese Maschinerie bedienen. Über dem 
Mittelbau gilt es noch weitere, höher angesiedelte Posi- 
tionen einzunehmen. Auf der östlichen Seite hingegen 
stehen alle Figuren auf dem gleichen Niveau, und keiner 
wird von einem anderen bedroht. Dem spielenden Kind 
und dem sich umarmenden Paar im Osten steht die sich 
mit verworfenen Händen abwehrende Figur am linken 
Bildrand gegenüber. Beiderseits halten Propagandisten 
Tafeln oder Transparente hoch, deren aufs einfachste 
beschränkte Mitteilungen sich für Penck grundsätzlich 
zu unterscheiden scheinen: «A = A» heisst es im Westen in 
einer sich selbst genügenden Botschaft. Der Osten ant- 
wortet demgegenüber mit «A = A plus annähernd A» und 
scheint bereit zu sein, diesen Unterschied dem Westen 
gegenüber auch zu verteidigen. 
Obwohl der junge Ralf Winkler den Bau der Mauer 
als «antifaschistischen Schutzwall» — wie die offizielle 
Leseweise der DDR-Organe lautete — zu diesem Zeitpunkt 
aus Überzeugung gutgeheissen hätte?, ging es ihm beim 
Weltbild aber mehr als um das Ausspielen zweier (poli 
tischer) Systeme; die. Konfrontation verschiedener (geist! 
ger und materieller) Werte zieht sich denn auch wie ein 
roter Faden durch sein Werk und bindet letztlich ein Ge 
mälde wie das 1982 entstandene TRR in der Sammlung des
	        
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