ZWEI WERKE VON GEORG BASELITZ
Das Atelier»
Das Naheliegendste bei Kunst ist eigentlich immer, zuerst
zınmal hinzuschauen. Manchmal zieht sie durch die
Pracht ihres Farb-Spiels oder die Dichte ihrer Formspan-
nung auf den ersten Blick in Bann, oft gibt sie sich störrisch
und fordert vom Betrachter harte Arbeit. Baselitzens
Gebilde gehören offensichtlich zur zweiten Sorte, wie
schon ihre kopfständigen Männer und Frauen lauthals
dekunden: dieses Verkehren kann man nicht stillschwei-
zend durchgehen lassen. Zunächst aber, wie bemerkt, hin-
zeschaut auf das, was zu sehen ist.
Zu sehen ist Malerei: auf eine Fläche aufgebrachte
Farbe. Nicht ölig Flüssiges, sondern trockene Eitempera
wurde verwendet, die das Staubige der Pigmente wahrt und
Jas Borstige der Pinselarbeit. So entsteht kein Geschmier,
sondern durchscheinende Schichtungen, die dem gra-
enden Blick darunter liegende ältere Zustände zugänglich
nachen. Das Werken des Malers zeigt sich durch die viel-
ältigen Streiche auf die Oberfläche und zugleich durch
den Weg zu dieser über zahlreiche verworfene Vorstufen.
Was heftig und grob hingeworfen wirkt und die Energie
spontanen Tuns bewahrt, erweist sich als sorgfältig erprobt
ınd kalkuliert.
Versucht man konkret, frühere Zustände zu entdecken,
;tösst man rasch an Grenzen: wie bei archäologischen Aus-
3rabungen müsste das Obere zugunsten des Unteren zer-
;tört werden. Wichtig jedenfalls, dass das Ältere als Kampf
ınd Schwere spürbar und sichtbar bleibt — etwa im Gegen-
jatz zu Matisse. Gerade unter den freisten und schwebend-
sten seiner späten Kompositionen liegen eine grosse Zahl
von ganz anderen Vorformen, die von seinem Modell
Delectorskaya photographisch dokumentiert wurden und
die doch die fraglose Selbstverständlichkeit und dekorative
Leichtigkeit des Resultates nicht im geringsten belasten.
3ei Baselitz fällt immerhin auf, dass häufig die Farbe der
entsprechenden Stelle des Gegenstücks durchschimmert:
unter dem Grau des rechten Flügels etwa der bläuliche und
oraunrote Ton des linken Teils, unter diesem wiederum das
Schwarz, das im Stilleben dominiert. während sich das Röt-
liche des Randbereiches im Mittelfeld als übermalt
bemerkbar macht.
Diese Beobachtung führt auf das Naheliegendste zu-
rück: die zweiteilige, polare oder binome Struktur, die
iedem Diptychon eignet und hier zu einem viele Verhält-
nisse durchdringenden Prinzip wird. Man braucht nicht
gerade auf den Anfang der Genesis mit der Entstehung von
Himmel und Erde, der Trennung von Licht und Finsternis
zurückzugreifen: aber die Erzeugung verklammerter
Gegensätze gehört zu den schöpferischen Grundopera-
tionen. Ein Einzelnes mag zufällig sein: tritt sein Gegenpol
dazu, entsteht erst Spannung und wird die Kategorie
bestimmt, in der sich das Problem entfaltet. Kommt zu
einem roten Quadrat ein rotes Dreieck, geht es um die
Formen, gesellt sich aber zum roten Quadrat ein blaues
Viereck, drehen sich die Fragen um die Farbe. Reines Rot
und reines Blau setzt Baselitz in den beiden Tüchern des
Stillebens einander gegenüber; alle anderen Gesichts-
punkte — Malstruktur, Flächenform, Quantität, Räum-
lichkeit und Plastizität — werden überhaupt oder durch
Gleichbehandlung entwertet. Hier tönt im lauten Grund-
akkord, was unterschwellig die ganze Fläche durchzieht:
Der Kontrast des Kühlen und Bläulichen zum Warmen
und Roten, des grauen zum braunen Flügel.
Weitere Demonstrationen von Problemen der Malerei
im allgemeinen braucht man nicht lange zu suchen. Das
Bild im Bild wirft die Frage nach dem Verhältnis von Inhalt
und Rahmen auf: links in reiner positiver Entsprechung
hingestellt, wird das Binnenrechteck im grauen Grund
‚echts gerade noch so schwach angetönt, dass es als Andeu-
tung verschwindend wirksam bleibt. Dazu trägt der weisse
Winkel bei, in dem die weisse Hinterlegung des schwarz-
grundigen Stillebens anklingt. Das helle Hervorschim-
mern wird durch den Kontrast zum scharf gezeichneten
Winkel erst als formlose Folie zum Abheben des schwarzen
Rechtecks bestimmt — und nicht etwa als weisse Einfas-
sungslinie. Dieses Verhältnis wiederum stellt die exakte
Umkehrung der Beziehung der Malerei zum äusseren oder
'atsächlichen Bildrand vor.
Wenn man mit der Beschreibung solch offensichtlicher
und einzeln betrachtet simpler Oppositionen, die erst in
der Umsetzung vom Bild zur Sprache verwirrlich zu tönen
beginnen, weiterfahren will, kommt man schwerlich an ein