bald hebt das Tier den Kopf -zunächst nur halb; aber auch
in dieser Stellung befriedigte es den Künstler nicht, da er
seine Skulpturen aus einem einzigen Baumstamm zu
schlagen pflegt und das Rösslein so allzu klein würde. Vor
allem sucht er elementare Haltungen, deren Ausdrucksge-
halt sich durch psycho-physische Sympathie unmittelbar
auf den Betrachter überträgt. Bei einem Pferd ist solches
schwer zu finden, denn zu seinem Charakter gehört vor-
züglich das Laufen und Traben, aber solch transitorische
Bewegungen widersprechen dem Statischen, ja Idolhaften
von Baselitz’ Skulpturen. Ebenso unbrauchbar mussten
ihm so animalisch Unemphatisches wie Liegen oder
Grasen erscheinen, zu geschweigen von Pferdebändiger-
gruppen oder Reitermonumenten. Vermutlich waren es
gerade diese heroischen, obrigkeitlichen Altlasten, die ihn
in früheren Bildern, etwa bei den Helden und Waldarbeitern,
das herrschaftliche Reittier vermeiden liessen.
Das Rote Pferd blickt auf. Den Kopf ins Genick werfen, ist
die Haltung der Ekstase; gefasster das Haupt nach oben
richten, entspricht der Inspiration, der sich öffnenden Hin-
wendung zu einem höheren Wesen. Bei unserem Pferdchen
könnte man an einen grossen Hund, der zu seinem Herrn
aufschaut, oder gar an ein frommes Lamm denken: es ist
ebenso wenig zum Kampf geeignet wie die Helden des neuen
Typs. Es ist kein Reittier, sondern etwas Urtümlicheres,
wurzelknollenartig aus dem Boden Gewachsenes: eine
Alraune vielleicht —eben eine «Kartoffel auf dem Sockel»,
wie Baselitz respektlos seine Skulpturen charakterisiert. In
der Mythologie gehört das Pferd zur Unterwelt; in germa-
nischer Frühzeit bildete es die Vorform des Totengottes
Wotan. Auch die rote Farbe mag in diese Richtung weisen:
Ocker kennzeichnet die frühesten menschlichen Bestat-
:ungen. Gleichzeitig mit den Pferdestudien für Pastorale
zeichnete Baselitz am 11. Dezember 1985 zwei faszinierende
Höhlen, in finstere Tiefen führende Löcher. Auf dem
Nachtbild grast das Ross bei einem Teich: wie uns von
Poseidon geläufig, ist es auch der wässerigen Unterwelt ver-
bunden. Aus der Verbindung des Meergottes mit der
Medusa entsprang Pegasus, das sagenhafte Flügelpferd der
Musen, das auf dem Helikon die Quelle Hippokrene aus
dem Felsen schlug —inspirierender Trank den Dichtern, die
zwischen den dunklen Mächten, der Tiefe der Vergangen-
heit und der Helle des Tages vermitteln. In einer früheren
Phase der Bildgenese nimmt ein Pferd die Stelle des
Mannes ein, der in Verehrung vor der grossen Frau kniet
und von ihr durch Hand-Auflegen gesegnet wird.
So deutet manches darauf hin, dass das Rote Pferd und der
Gruss aus Oslo das Paar aus den Pastoralen ins Plastische über-
trägt: das Pferd blickt zu der bannenden Frau auf, die es
inspiriert; dem Erdreich verhaftet, steht es der fusslos
Schwebenden gegenüber. Schwerlich hätte durch eine
männliche Gestalt diese Beziehung zum Ausdruck
gebracht werden können; zu sehr tendieren die Skulpturen
von Baselitz, diese «Träger von Kräften», zu idolhafter Ver-
einzelung. Auf frühen Photographien aus Derneburg sieht
man öfters die beiden Werke im Atelier oder in Wohn-
räumen zusammen stehen; an der Wand hinter dem noch
unvollendeten Gruss aus Oslo lassen sich Skizzen zum Roten
Pferd erkennen. So mag der Vorschlag des Künstlers, uns
seine einzige Tierplastik zu leihen, von einer exakten Vor-
stellung bestimmt gewesen sein; intuitiv erfasste unser
Direktor das Sinnvolle der Kombination, und so können
nun dank der Grosszügigkeit von Elke und Georg Baselitz
die grosse Frau und das kleine Pferd auf Dauer ihren
geheimen Dialog weiterführen.
Doch damit sind wir mit dem Roten Pferd noch nicht am
Ende, denn hinter ihm erhebt sich die drei Jahre später
geschaffene Bilderwand 45 mit den Frauen von Dresden
nach der Zerstörung. Dieses traumatische Erlebnis steht in
der Erinnerung von Baselitz dem Frieden der Pastonalen
gegenüber. Im Lande der Hirten sehen wir einen schöpferi-
schen Dialog zwischen Mann und Frau; nach den Verwü-
stungen des Krieges wird der Fortgang des Lebens ganz von
den Frauenköpfen auf dem geschundenen, zerschlagenen,
durchfurchten schwarzen Grund getragen: der Tafel mit
den Urnen der Toten antwortet das Bild mit den frucht-
baren Hasen. Als emblemartiges Zeichen für den Unter
gang der Stadt verwendet Baselitz die zerbrochene Brücke,
wie sie auch in 45 zu finden ist; der Ursprung des Motivs
aber führt zurück in die Zeit unmittelbar nach den Pasto-
ralen, als er die beiden Bilder in Grüner Baum (14. —18. III.
1986, Eindhoven) und Schuarze Brücke (22.111. —12. VIL
1986) nochmals abwandelte. Auf dem anschliessenden
Motiv Schimmel Zerbrochene Brücke (27.—29.1V.1986) ist die
Verbindung von Brücke und Pferd noch enger; wird hier
mit dem Pferdekopf im Riss des Überganges die funktio-