wie sie eigentlich nur von oben gesehen werden kann: von
dem grossen Kopf, der sich über sie neigt, oder von einem
schwebenden Betrachter. Wenn Kinder zeichnen, beob-
achtet Baselitz, neigen sie die Köpfe über das Blatt, das auf
dem Tisch liegt, drehen und wenden es um und um. Ist es
nicht auch mit Pastonale - Die Nacht so? Liegt der Mann «auf-
recht», mit der Landschaft seiner Jugend bis zum Halse
zugedeckt, so liegt wohl auch die umgekehrt gezeigte Frau.
Mit dem Motiv der Fische kommt diese neue Inver-
sions-Richtung zu ihrem Ziel: wo es keine Füsse gibt, ist
Bodenhaltung kein Problem mehr. Wenn man über das Eis
geht, sieht man sie von oben, Richtung spielt keine Rolle.
Fischteiche gab es auch in Deutsch-Baselitz; einst sei er
umgefallen und auf dem Eis hart aufgeschlagen, meldet der
Künstler im Rüstzeug des Malers; davon sei ihm ein singender
Ton im Schädel geblieben. Schliesslich hat er die Bilder auf
den Boden gelegt, die weisslichen Bilder der Serie, die 1991
unter dem Titel Hammergrün ausgestellt wurden: darauf ist
er mit den Stiefelsohlen als Pinsel in Schwarz rumgelaufen.
Darunter sieht man in knorrigen Linien, etwa wie Wurzeln,
liegende Gestalten, die an die Helden erinnern; eines dieser
Bilder heisst denn auch explizit Wurzeln.
Durch die Abschaffung des Raumes — von Luft, Atmo-
sphäre, Himmel, Wolken —wird das Motiv in neuer Schärfe
dem Bildgrund gegenübergesetzt. Man kennt die konzen-
trierende, emotionssteigernde Wirkung der Massnahme
aus der Kunstgeschichte: von Rosso Fiorentino, von Cara-
vaggio etwa und seinen Nachfolgern oder dem strengen
Klassizismus; als moderner Künstler kann Baselitz weit
radikaler vorgehen. Für ihn dürfte das Problem zugleich
eine autobiographische und eine werkgeschichtliche
Dringlichkeit haben, da das gegenständliche Motiv in
seinen ost-realistischen Anfängen wurzelt, während der
Grund als ornamentales, die Kräfte des leeren Bildvierecks
primär aktivierendes Element seit der Pulverisierung des
Gegenstandes im analytischen Kubismus vor allem das
Arbeitsfeld der westlichen, abstrakten Kunst bildete. Die
Überlagerung und das Verweben der beiden Prinzipien
wird schon in den He/den-Bildern virulent und führt zu den
Puzzles der Frakturbilder, in denen die Motive recht
gewaltsam in Stücke zerschlagen und zu einem eigenwer-
tigen Bildmuster zusammengeklittert werden. Durch die
Umkehrung zeitweilig entschärft, taucht der Antago-
nismus unter neuen Bedingungen in den späten siebziger
Jahren wieder auf; zunächst wird er durch das neuartig
energische, grossformige Pinselwerk, das beide Teile glei-
cherweise summarisch behandelt und zugleich mit einer
vagierenden, primär dem Bild und nicht den Gegen-
ständen zugeordneten fast physisch greifbaren Plastizität
durchdringt, eher überbrückt. Binnenrahmungen und Ein-
sprengsel geometrischer Formen, die zugleich Motiv und
Grund sind, oder, genauer, als Elemente des Grundes
Motiv-Charakter annehmen, führen zu den abstrakt ortho-
gonalen Fügungen der Werkgruppe Mann im Bett (1982), in
deren schwarz-weiss-gelben Bildkonstrukte die Figuren
nicht ohne Zwang gepresst werden. In dem Gemälde Adieu
(London) geht die Systematisierung mit einem weiss-
gelben Schachbrettmuster am weitesten; ein kleines weisses
in einem der gelben Rechtecke wirkt wie ein Zitat aus
Mondrians späten Boogie-Woogie-Bildern, auf die sich Base-
litz auch in Gesprächen gelegentlich bezieht. Im Gegensatz
zu seinen früheren, kosmisch modellhaften Gemälden mit
bedeutungsschwer schwarzen, aufragend senkrechten und
lagernd horizontalen Linien gibt sich hier Mondrian dem
beschwingten Rhythmus des modernen Tanzes, Ausdruck
der brodelnden Lebendigkeit der Metropole, hin; sie er-
innern nicht mehr an Stämme und Äste, sondern an die
Ebene, in der das Muster der Strassen mit ihrem Verkehr
liegt. Wie schon der Name deutlich macht, eignet dem
Schachbrettmuster ein horizontaler Charakter, oder, um
einen Lieblingsausdruck von Baselitz zu verwenden, sein
«Normalzustand» ist liegend. Es ist der Normalfall des
Bodenmusters; seine Anmutungsqualität betont die all-
seitig gleiche, flache Ausdehnung der Ebene.
Aufsicht, Flächengliederung, Farbwahl, Assoziationen
zum rhythmischen Schwingen des Gesellschaftstanzes:
viele Linien weisen von Boogte-Woogie zu den Volkstänzen
hin. Unmittelbar vor diesen entstand im Herbst 1988 die
Ciao America-Serie, ein Gewimmel von Vögeln, häufig gelb/
schwarz und mit Gittermustern, in dem zugehörigen
grossen Holzschnitt von einem Regen von Quadrätchen
überschneit. Am markantesten erscheint das Schachbrett
in dem gleichzeitigen Gemälde Schuhe vor dem Fabriktor;
grün/weiss, grossformig und bildfüllend, erzwingt es die
Vorstellung einer Sicht von oben auf eine Landschaft. Die
gleiche Wirkung erzielt das als Hauptmotiv in die Mitte