ZUR «VEN US»
VON CARL BURCKHARDT
Der Basler Kunstverein hatte auf Februar 1910 eine Aus-
stellung für «Jüngere Basler Künstler» im Programm.
Hier wollte der 32jährige Maler und Bildhauer Carl
Burckhardt seine Marmor-«Venus», Frucht fünfjähriger
intensiver Arbeit, erstmals der Öffentlichkeit vorstellen.
Er setzte seine ganze Hoffnung in den Erfolg und den
Verkauf des Werkes - hatte er sich doch physisch wie
materiell bis zum Äussersten dafür ausgegeben. Mit
diesem seinem ersten vollendeten monumentalen Bild-
werk musste auch eine alte Scharte ausgewetzt werden,
die ihm schwer zu schaffen machte. Das Misslingen
seines ersten grossen plastischen Projektes, der Doppel-
gruppe «Zeus und Eros», belastete ihn sehr. Der in Mün-
chen an der Knirr-Schule zum Zeichner und Maler aus-
gebildete junge Burckhardt hatte sich bei seinem ersten
Rom-Aufenthalt 1899-1900 eifrig dem Aktstudium nach
guten Modellen zugewandt. So sehr ihn die römische
Landschaft fesselte, so eindeutig zog es ihn nun zur
menschlichen Figur, die sich als dreidimensionale Ge-
stalt im Raum behaupten sollte. Während eines kurzen
Aufenthaltes in Basel begann er mit dem Modellieren
von Büsten und plante bereits auch eine Marmorarbeit.
Davon hat sich nichts erhalten.
Der zweite Rom-Aufenthalt 1901-1904 weckte nun in
Carl Burckhardt den folgenschweren Entschluss, Zeich-
nen und Malen als Vorbereitungs- und Entspannungs-
arbeit zu Gunsten eines grossen plastischen Werkes
zurückzustellen. Eine fast wahnwitzige Unternehmung
für einen völligen Autodidakten als Bildhauer — aber
Burckhardt war von Kindheit auf voll unzähmbarer
Unternehmungslust und wusste sich auch meist weiter-
zuhelfen. Er plante eine monumentale Doppelgruppe
«Zeus und Amor» — Apuleius stand dem Thema zu Ge-
vatter — der Amor-Jüngling kniend vor dem Sitz des
thronenden Zeus, einer kräftigen Männergestalt. Die
beiden Akte erforderten endloses Modellstudium.
Burckhardt ging als Anfänger, der mit vielfältigen techni-
schen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, an sein gewal-
tiges Projekt. Finanziell stand es um ihn - wie übrigens
Zeit seines Lebens - schlecht. Der Mutter, Tochter des
Zürcher Grossmünsterpfarrers Hess, blieb nach dem
frühen Tod ihres Gatten, des Baslers Abel Burckhardt,
mit dem sie im Pfarrhaus von Lindau eine grosse Kin-
derschar aufgezogen hatte, nichts anderes übrig, als in
das ihr fremde Basel zu ziehen, wo die Burckhardtsche
Familien-Stiftung weiterhalf. Sie tat, was sie konnte für
ıhren Künstlersohn: Sie unterstützte die notwendigen
Auslandaufenthalte und erlebte die Genugtuung, dass
der Architekt Karl Moser für die Pauluskirche, ihrer
Gemeindekirche, Carl Burckhardt ein Portalrelief in
Auftrag gab. Jetzt aber begriff niemand, warum Carl aus
Rom nicht endlich ein ausstellungswürdiges, «fertiges»
Werk nach Basel sandte, das endlich auch etwas ein-
getragen hätte. Niemand ahnte, wie der Fünfundzwanzig-
jährige um die Reinheit und das Zusammenklingen sei-
ner Formensprache kämpfte. Der jüngste Bruder Paul,
vom Architekten zum Maler geworden, reiste schliess-
lich als Abgesandter nach Rom und erreichte, dass 1902
wenigstens der Kopf des «Amor» gegossen und nach
Basel geschickt wurde. Unter dem Titel «Jünglingskopf»
hatte er in einer Ausstellung der Basler Kunsthalle sofort
Erfolg und wurde von einem Privatmann angekauft.
Carl Burckhardt mag das gefreut haben — aber ewig un-
befriedigt und selbstkritisch bis aufs Äusserste arbeitete
der Künstler unentwegt weiter an seiner grossen Doppel-
gruppe. Schliesslich musste 1904 aus finanziellen Grün-
den das Atelier in Rom geräumt werden. Die Figur des
«Amor» zerfiel, der «Zeus» konnte noch als Wachsguss
‚estgehalten und in einem Keller geborgen werden. Nach
dem Tod des Künstlers wurde sie nach Basel transpor-
dert und auf Anregung von Georg Schmidt in Bronze
gegossen und im Museum aufgestellt. Das Konzept
der ganzen Gruppe kennen wir nur aus einer Atelier-
Aufnahme. Burckhardt war als Bildhauer in den Augen
vieler gestrandet und hatte Familie und Freunde schwer
anttäuscht.