21
Die Köchin blieb mürrisch. Die Suppe war kalt. Aus dem
Nebenzimmer quoll das aufreizend regelmässige Mittagsschnarchen
des Vaters. Frank überkam das Gefühl eines unerklärlichen
namenlos wehmütigen Ekels. Er musste aufhören zu essen. Er
wollte seine Hündin Batry mit den verschmähten Speisen füttern
und begann, nach ihr zu rufen. Sie war nicht da. Das nervöse
Prickeln einer bösen Ahnung beschlich ihn. Er lärmte mit der
Köchin. Die zuckte höhnisch die Achseln, biss die Zähne aufei
nander und machte widerwärtige Lippen. Frank stiegen die
Tränen auf. Er rang sie nieder. Er schrie vom Flur aus durchs
ganze Haus nach Batry. Seine Stimme überschlug sich. Von
irgendwoher echote Gelächter.
Er raste hinunter und prallte vor der Mutter zurück, die
wieder das Buch zuklappte und im Pult verschloss, verlegen
blinzte, hysterisch tat, zu schimpfen begann.
Vom Hof sickerten seltsame Geräusche: erstickte Schreie,
Flamme, Angstrumoren, Vergewaltigung. Frank stürzte vors Tor.
Ernst lehnte grinsend an der weissen Mauer im Sonnenschein,
zeigte auf zwei ineinander verwebte Fliegen und flüsterte etwas,
das Batry, die zwei Fliegen und die Mutter auf eine eigentüm
liche Art in Zusammenhang brachte. Frank bekam wieder seine
hilflosen Augen. Weinen bezwang ihn, unbewusst, lautlos. Dann
drehte er sich brüsk um und sagte hart, gepresst: „Schwein 1“
Ernst lauerte. Fast war ein überlegenes Mitleid in seiner
Stimme: „Haben wir nicht zusammen Photographien angeschaut?
Hast du mir nicht solche Verse vorgelesen?“
Frank wurde starr. Seine Lider schlossen sich. Dann hob
«r mit schwerer Gebärde die Faust und trieb sie ingrimmig,
stumm, verbissen, mit nachtwandlerischer Treffsicherheit ein paar
Mal hintereinander blitzschnell in Ernsts Fratze.
Der schlug wie ein Stamm aufs Pflaster.
Die Mutter hatte sich mit endgültiger Resolutheit in ihr
Buch gerettet.
Der Lärm der Hunde sprang Frank wie ein Wolf an den
Hals. Sein hilfloser Blick umschleierte sich. Er wankte trunken.
Sein Herz flog. Aufsässiges Schluchzen.
Gäste warfen mit den Türen. Gläser polterten auf die
Tische. Ein Phonograph zotete heiser. Bisweilen schwoll
Wiehern an.
Max Herrmann (Neisse).
Christian Schad
V • . -1 . *' H .. .♦ I
Das Kunstwollen aller Zeiten steht zwischen zwei Pfeilern:
seine Verkörperung stellt der Griechenplastik und dem Cinquecento