12
CHRISTLICH-SOZIAL
Die Armut ist ein großer Glanz von Innen, mein Gotte doch,
Mutter gib mir tfur ganz miese Lumpen, damit niemand mir meinen
Glanz ansieht. Was müssen die Menschen bloß von mir denken,
daß ich so glänze. Dafür will ich ja gerne in die Glasbläserei gehen,
meine Lunge auspusten, damit die Leute, die man fälschlicherweise
Reiche nennt, so’n bißchen was von meinem Glanze abkriegen. Oder
in die Kohlengruben. Damit denen, die Ehren genießen, warm wird
im Winter.
Oh, wie gerne laß’ ich mich ausnutzen! Ich bin ja selig in
meinen armseligen Lumpen. Es ist zwar bißchen kalt grade, so
ohne Mantel und Löcher in den Schuhen — aber dafür hab’ ich
doch eine Lunge, die voll Kohlenstaub ist — ganz schwarz inne
wendig. Hat je ein Reicher so eine Lunge gehabt? Nein, ich
habe viele Besonderheiten. Da machte mir neulich meine große
Frostbeule am rechten Fuß viel Spaß.
Ich muß immer an das Himmelreich denken, in das ich bald
kommen werde. Dort brauche ich gewiß keine Leberwurst essen,
damit ich mir den Magen nicht verderbe. Ach, wie herrlich geht
es mir gegenüber jenen, die viel Geld und feine Kleider und einen
vollen Magen haben: an ein Heim bin ich nicht gebunden — jeden
Morgen, wenn wir in unserem feuchten Keller erwachen, wo wir
zu 14 schlafen, immer zweie in einem Bette, da sind wir alle froh,
daß wir auf Arbeit müssen. Wir danken alle dem guten Gott, daß
er uns so eine schöne Rolle zugeteilt hat.
Wir lassen uns von Kind an zu seiner Ehre und zum Wohl
ergehen der Reichen willig aussaugen.
Hunger ist der beste Koch! Wie wahr ist dies Wort! Wie
mein Vormund immer sagt, der Lumpensammler: „Welch’ ein Fest
ist es, im Müll eines feinen Hauses ein Stück Speck mit Maden zu
finden.“ Und wir selbst: wie schön schmeckt unsre wöchentliche
Kartoffel oder die Kohlrüben. Oh, wie schlecht verstehen diese
Leute, die alles haben, zu genießen! Was Genuß ist, das wissen
nur wir. Wir haben wahrhaft schöne, menschenwürdige Berufe,