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Mein Vater war von Gesicht und Haltung ebenso gut wie schön, aber ich fürchtete ihn ein
wenig. Ich habe soviel Majestät nur noch einmal bei einem Araberhäuptling zwischen Kefeldor
undTouggourt angetroffen, der, an den Füßen braunrote Stiefel, ein rosiges, windschnelles Pferd
meisterte. Mein Vater war in den Kleinen Antillen am 31. August 1831 geboren, als Sohn
Jean-Baptiste Jammes, Dr. med., Ritter der Ehrenlegion, dessen vergilbte Briefe mich sein leiden
schaftliches, mutiges, unternehmendes, halsstarriges, melancholisches und — von der Mutter her —
zärtliches, verschwenderisches und bezauberndes Naturell kennen gelehrt haben. Alle beide waren
französischer Abkunft. Es heißt, daß wir von jenem Jammes abstammen, den Sülly in seinen
Memoiren erwähnt und der bei Ivry einer der treuesten Gefährten Heinrichs IV. war.
Ein kleines Mädchen, Blanche mit Namen, war häufig in unserer Gesellschaft. Sie und ich
spazierten miteF
nander umher und
belegten — so wie
es die Kinder in
Pascals »Pensees«
tun, alles um uns
her persönlich mit
Beschlag: »Dieser
Felsen gehört mir
— nein mir!«
Unsere gemein
same Freundin war
Annette.Sie wohnte
in Bordes, einem
Dorfe, das wie mir
scheint, längs einer
Landstraße, die
links vom Bahnhofe
abzweigte, lag. Sie
war Waise und
6 Jahre alt. Sie
lebte mit ihrerTante
bei ihrem Groß
vater , der Notar
war. Sie nahm mich
die ich halb schloß um die Flammen strahlenden Sternen gleich zu machen, werden niemals an
meinem inneren Himmel verlöschen. Ich glaube, wenn man mir um meines Glaubens willen den
Kopf abschlüge, so würden jene kleinen Gestirne der Kirche, wo ich getauft wurde, hinter meinen
Lidern zu leuchten nicht aufhören.
Meine tiefste Sehnsucht war, mich dem strahlenden Tabernakel noch mehr zu nähern,- eine jener
lebenden Mohnblumen im Getreide des Herren zu werden, die aus ihren Silberkelchen den Rauch
des Weihrauches steigen lassen. Ich habe früher so viel darum gelitten, nicht Gottes Diener
werden zu können, daß es nunmehr meine Freude ist, eines meiner Kinder, das jetzt ebenso alt
ist wie damals ich, auf seinen kleinen Altar steigen und mit goldenem Meßgewand bekleidet, sich
zurückwenden und mich segnen zu sehen.
Mein Vater, der zum Einnehmer in Sauveterre-de- Gironde ernannt worden war, ging allein
dorthin, denn dieser Posten behagte ihm keineswegs für uns, und er hoffte seine Versetzung
L Seewald
Reh (Gemälde)
mit in ihren Garten
und überwachte
mich wie eine Mut
ter, obwohl wir
beide gleichaltrig
waren. Es ist nach
dem Frühstück. Ein
Vogel sitzt auf ei
nen Birnbaum. An
nette, mit runden,
rosigen Wangen
wie ein Apfel, zeigt
ihn mir mit dem
Finger.
Diese Spazier
gänge und länd
lichen Besuche ent=
zückten mich.
Glückseligkeit aber
bedeuteten für mich
meine Betstunden in
der Kirche. Die
ersten Kerzen, die
ich brennen sah hin
ter meinen Lidern,